Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Er winkte seinen Assistenten zu sich. »Was für Werkzeug brauchen wir?«
»Schaufeln, ganz einfach.« Mirwald holte drei Schaufeln heraus und lehnte sie an den Wagen. »Auf geht’s, Buam, wie man hier im Bayerischen Wald sagt.«
»Was sollen die drei Schaufeln, Mirwald?«
»Na was wohl?«
»Tut mir leid, Mirwald, ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber ich hab’s momentan mit der Bandscheibe. Geht wirklich nicht. Sie wollen doch nicht, dass ich krankgeschrieben werde, oder?«
»Ich bin der falsche Ansprechpartner dafür«, sagte Baltasar. »Polizeiarbeit ist nur was für Profis, Mirwald. Das haben Sie selbst gesagt. Als Amateur sollte ich lieber die Finger davon lassen.«
Mirwald klappte der Mund auf – und wieder zu, ohne dass ein Ton herauskam. Wortlos nahm er eine Schaufel, ging zu der vermuteten Stelle im Acker, krempelte die Ärmel hoch und fing an zu graben.
»Gehen Sie behutsam vor, Mirwald, wir suchen die sterblichen Überreste eines Babys.« Dix nickte ihm zu. Mirwald antwortete mit einem Giftblick, bei dem sensiblere Naturen sofort tot umgefallen wären.
Eine Stunde war vergangen, der Himmel verdunkelte sich. Auf Mirwalds Hemd hatten sich Schweißflecken gebildet. »Wir sollten aufhören«, sagte er. »Das ist Sklavenarbeit, was ich hier machen muss.«
»Das ist Polizeiarbeit«, antwortete Dix. Er saß im Auto, die Beifahrertür stand offen. »In Ordnung, fünf Minuten noch, dann packen wir wieder zusammen.«
Sollte er sich geirrt haben? Baltasar war sich so sicher gewesen. All die Hinweise …
»Da ist was!« Ein Schrei. Mirwald winkte aufgeregt.
Sie eilten herbei. Dix hatte eine Kamera mitgenommen. »Kurze Pause. Ich mach Beweisfotos.« Er knipste die Fundstelle von allen Seiten. Nach ein paar weiteren Schaufeln Erde hatte Mirwald eine zerbeulte, rechteckige Blechdose freigelegt. Auf dem Deckel waren noch Reste von Farbe, die ihren ursprünglichen Zweck verrieten: Es war eine Keksdose. Dix und Mirwald streiften Gummihandschuhe über.
Vorsichtig öffneten sie den Deckel. Ein Stoffbündel kam zum Vorschein.
»Da ist was drin eingewickelt.«
Der Stoff zerbröselte zwischen ihren Fingern, als sie ihn berührten. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie mit Pinzetten alle Stoffteile entfernt hatten.
Darunter kamen Knochenteile zum Vorschein, ein winziger Schädel.
Sie hatten gefunden, wonach sie suchten: Eva Helmings ungeborenes Kind.
Keiner sagte ein Wort. Baltasar atmete durch, um die aufkommende Übelkeit zu unterdrücken.
Mirwald fand als Erster die Sprache wieder. »Das ist jetzt doch ein Fall für unser Spezialkommando.« Er griff zum Mobiltelefon und rief die Zentrale an.
Dix holte das Absperrband aus dem Auto und begann, den Tatort zu sichern. Sie hörten, wie sich ihnen ein Wagen näherte. Er hielt direkt vor ihnen.
Alfons Fink ließ die Seitenscheibe herunter und beugte sich vor. »Können Sie nicht lesen? Betreten verboten!« Seine Worte klangen wie Gebell.
Baltasar wurde es langsam unheimlich. Ständig tauchte wie aus dem Nichts dieser Landwirt auf, als hätte er irgendwo eine Überwachungskamera installiert.
»Kriminalkommissar Wolfram Dix, Sie kennen uns. Haben Sie keine Augen im Kopf? Wir haben hier eine Leiche gefunden, ein totes Baby. Bitte entfernen Sie sich vom Tatort. Und zwar sofort! Dies ist ein offizieller Polizeieinsatz!«
»Das ist mein Acker. Mein Grundbesitz. Was kümmern mich irgendwelche Kinderleichen!«
Mirwald war zum Auto getreten, die Fäuste geballt. »Wenn Sie jetzt nicht sofort Ihr Maul halten und verschwinden, gibt’s eins in die Fresse!«
Alfons Fink erschrak, wendete den Wagen und raste davon.
Dieser Mirwald wird mir langsam sympathisch, dachte Baltasar. So regeln das Männer aus dem Bayerischen Wald!
44
E r breitete die Kopien der Dokumente und die Fotos, die er bisher im Fall Eva Helming zusammengetragen hatte, auf dem Küchentisch aus und versuchte, ihren inneren Zusammenhang zu entdecken. Er rief sich die früheren Gespräche in Erinnerung, die Aussagen der verschiedenen Personen, die Informationen der Polizei. Irgendwo musste ein roter Faden zu erkennen sein. Baltasar spürte, dass er dicht dran war an des Rätsels Lösung.
Da war das Opfer, Eva, die von Linz aus aufgebrochen war, um ihren Liebhaber zu besuchen. Da war eine Kurpfuscherin, die einen fatalen Eingriff vorgenommen hatte. Da waren die Totenbretter und der Rosenkranz und die verschworene Glaubensgemeinschaft der Marienkinder. Und da war der Mann im Schatten. Der Vater des
Weitere Kostenlose Bücher