Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Angst davor, dass alles auffliegen würde, trauten wir uns nicht, zu einem normalen Arzt oder ins Krankenhaus zu gehen. Da hörte ich von Walburga Bichlmeier.«
»Die früher bekannt war als eine Art Heilpraktikerin.«
»Ein schönes Wort. Ich würde eher sagen, als Quacksalberin. Franziska und ich fuhren zu ihr nach Hause und erklärten ihr unsere Situation. Sie empfing uns sehr freundlich. Die Bichlmeier sagte, für dreihundert Mark könne sie das Kind wegmachen. Sie benutze scharfe Laugen, das sei ganz unkompliziert. Franziska könne noch am Abend wieder heimgehen.«
»Ihre Freundin hat den Eingriff vornehmen lassen.« Baltasar wusste die Antwort und ahnte, was kommen würde.
»Es war der Fehler unseres Lebens. Es kam zu Komplikationen, und die Bichlmeier nahm irgendwelche Geräte zu Hilfe. Danach blutete Franziska aus dem Unterleib, es wurde mit jeder Minute schlimmer. Ich bekam Panik und rannte weg, um einen Sanitäter zu rufen. Franziska wurde ins Krankenhaus gebracht und musste mehrere Wochen das Bett hüten. Irgendwelche Infektionen.«
»Wie ging es weiter?«
»Das war das Ende. Unsere Beziehung war von diesem Moment an vorbei. Die Eltern machten ein Theater, das können Sie sich vorstellen. Ich wollte zur Polizei und die Kurpfuscherin anzeigen, aber Franziskas Vater lehnte das ab. Er hatte Angst vor einem Skandal. Deshalb regelte er alles im Hintergrund, ich weiß nicht, wie. Eines sage ich Ihnen, Hochwürden. Als ich die Nachricht von Walburga Bichlmeiers Tod las, da dachte ich: Es war eine späte Strafe für ihre Sünden.«
43
D ie Neuigkeiten über Walburga Bichlmeier beschäftigten ihn noch, als er längst wieder zu Hause war. Die alte Frau hatte ihren Kunden also nicht nur harmlose Cremes und Wässerchen verabreicht, sondern sich auch an medizinischen Eingriffen versucht. Mit fatalen Folgen.
Jetzt verstand er auch den Zweck der Werkzeuge, die er auf Walburga Bichlmeiers Dachboden gesehen hatte: Es waren primitive chirurgische Bestecke, die jemand für sie angefertigt hatte. Von Gewissensbissen schien sie nach dem Drama mit Franziska nicht geplagt gewesen zu sein – sie hatte noch mehrere Jahre so weitergemacht. Wenn er die spärlichen Informationen richtig wertete, endete ihre Karriere als Kurpfuscherin erst zu dem Zeitpunkt, als Eva Helming bei ihr aufkreuzte.
Eva war also von Linz in den Bayerischen Wald gefahren, um ihren Freund zu treffen, wahrscheinlich, um ihm von der Schwangerschaft zu erzählen und mit ihm gemeinsame Zukunftspläne zu schmieden – eine verliebte Siebzehnjährige, die glaubte, ihren Mann fürs Leben gefunden zu haben, und von der großen weiten Welt träumte.
Was war nach ihrer Ankunft geschehen? Baltasar konnte nur spekulieren.
Es musste zum Streit zwischen den beiden gekommen sein. Vielleicht wollte ihr Freund sie nicht bei sich zu Hause haben. Jedenfalls übernachtete Eva bei Walburga Bichlmeier. Wobei die Frage offen blieb, ob sie aus eigenem Antrieb ihr Ungeborenes abtreiben wollte oder ob sie dazu gedrängt worden war. Zu der alten Frau musste sie jedenfalls jemand gebracht haben – es war ausgeschlossen, dass die Linzerin von der Quacksalberin wusste, gar ihre Adresse kannte.
Wie es aussah, nahm Walburga Bichlmeier tatsächlich den Eingriff bei Eva vor. Und dann? Was war so schrecklich schiefgelaufen, dass die alte Frau ihr dubioses Handwerk für immer beendete und sich stattdessen dem Marienglauben zuwandte? Was war Schlimmes passiert, dass Eva in einem Acker vergraben ihr Ende fand?
Nun klärte sich auch das Motiv für den Mord an Walburga Bichlmeier. Baltasar erinnerte sich an seinen Besuch bei ihr. Sie hatte sich nicht getraut, etwas zu erzählen, sie wollte sich erst mit jemandem beratschlagen. War dieser Jemand der Mörder? Der Grund lag auf der Hand: Wenn die alte Frau zur Polizei ging, würden die Hintergründe der Tat – und der Täter – an die Öffentlichkeit gezerrt.
Deswegen brachte der Mörder Walburga Bichlmeier zum Schweigen. Sie schöpfte Verdacht, weil das Mädchen plötzlich verschwunden war, ohne seine Tasche abzuholen. Sie wusste, wer Evas Leichnam beseitigt hatte. Kannte sie auch den Ort, ahnte sie, dass bei den Totenbrettern ein Mordopfer lag?
Eine ganz andere Frage schob sich in Baltasars Bewusstsein: Wenn es zu einem Schwangerschaftsabbruch gekommen war, müsste es dann nicht einen weiteren Leichnam geben, nämlich den des ungeborenen Babys? Er hatte sich bisher darüber noch keine Gedanken gemacht, doch die Schlussfolgerung
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