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Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Titel: Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Schreiner
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einen Aufschub bringen. Zentimeterweise schob er die Tür auf, darauf achtend, kein Geräusch zu machen und sich nicht durch hastige Bewegungen zu verraten.
    Von drinnen hörte er eine Stimme, die nach der von Nepomuk Hoelzl klang. Er hielt offenbar gerade eine Ansprache. Von der Gemeinschaft der Marienkinder redete er, von ihrem Gelübde, ihrem Zusammenhalt über die Jahre, dem Dienst an der Mutter Gottes. Er sprach von den jüngsten Ereignissen, von äußeren Feinden, die Lügen verbreiteten, die es darauf anlegten, Hass und Zwietracht in die Gemeinschaft zu tragen. Dann folgte ein gemeinsames Gebet. Ein Rosenkranz.
    Baltasar schob das Portal so weit auf, dass er sich durchzwängen konnte. Er brauchte einige Sekunden, bis er sich an das Halbdunkel der Kapelle gewöhnt hatte. Vorne am Altar, mit dem Rücken zu ihm, kniete Hoelzl in seinem Vampirumhang. In den vorderen Bänken knieten Menschen und sprachen die Verse des Rosenkranzes. Sie waren gekleidet wie zum Kirchgang: schwarze Anzüge die Männer, Kleider in gedeckten Farben die Frauen. Links vom Altar befand sich ein hüfthoher Messingständer, auf dem eine einzelne Kerze brannte. Zwei Vasen mit Rosen flankierten den Mittelgang.
    Gerade wollte sich Baltasar auf die hinterste Bank setzen, als hinter ihm die Tür ins Schloss fiel. Nepomuk Hoelzl fuhr erschrocken herum, die Gebete erstarben.
    »Herr Senner, Sie hier?«
    Mehrere Augenpaare richteten sich auf ihn. Auf der linken Bank saßen Alfons Fink und seine Frau Gabriele, daneben zwei unbekannte Frauen. Auf der rechten Bank saß Lydia Schindler neben ihrem Sohn Hubert und ihrer Schwiegertochter Christina. Die Blicke der Anwesenden bohrten sich in Baltasar, als wollten sie ihn auf der Stelle ans Kreuz nageln.
    »Was machen Sie hier, Herr Senner?« Hoelzl hatte sich wieder gefasst. »Sie stören unser Treffen.«
    »Wir sind hier in einem Gotteshaus. Und nicht in einem Vereinsheim.« Baltasar ging einige Schritte Richtung Altar. »Und Sie, Herr Hoelzl, nehmen Sie zuerst einmal Ihren lächerlichen Fledermausumhang ab. Selbst mit einer solchen Verkleidung werden Sie nicht zum Priester.«
    »Sie … Sie …« Hoelzl kam auf ihn zu. »Wir sind Christen wie Sie und haben uns zum Gebet versammelt. Da wollen wir uns nicht stören lassen. Von niemandem!«
    »Sie spielen hier am Altar den Pfarrer. Aber diese Kirche ist kein Spielplatz für einen selbst ernannten Großmeister der Marienkinder.« Baltasar machte eine Geste, die alle Anwesenden einschloss. »Wenn Sie unter sich bleiben wollen, gehen Sie in den Wald. Und wenn Sie Geistlicher werden wollen, Herr Hoelzl, dann besuchen Sie ein Priesterseminar. Danach dürfen Sie vielleicht hier herumwerkeln. Aber ganz sicher nicht in diesen albernen Klamotten!«
    Tatsächlich streifte Hoelzl das Gewand ab und warf es auf die Bank. »Glauben Sie wirklich, ich bräuchte solche Äußerlichkeiten? Die Gruppe hat mich erwählt, damit ich spirituellen Beistand gebe und in Fragen der Anbetung unserer heiligen Maria, der Mutter Gottes, vorangehe. Wir leben streng religiös auf dem Fundament der Kirche und der Bibel – und das schon seit Jahrzehnten. Wir brauchen keine Schlauberger, keine dahergelaufenen!« Hoelzls Stimme überschlug sich.
    Wortlos ging Baltasar nach vorn. »Ich weiß nur, dass die Marienkinder, dass Sie alle hier«, jedem Einzelnen sah er dabei ins Gesicht, »dass Sie alle seit Jahrzehnten einen Mörder decken!« Er feuerte die Worte ab wie Kanonenkugeln. »Das nennen Sie christliches Verhalten? Das verstehen Sie unter Glaube und Nächstenliebe? Das ist das genaue Gegenteil, sage ich Ihnen, das ist gottlos, geradezu teuflisch, auf jeden Fall aber ein Verbrechen!«
    Ein Raunen ging durch die Menge. Eine der Frauen fing an zu kreischen und lief nach draußen. Alfons Fink sprang auf, packte Baltasar am Kragen und zog ihn zu sich heran.
    »Sie wagen es, uns zu beleidigen? Eine Unverschämtheit! Man sollte Sie …«
    Baltasar befreite sich aus seinem Griff. »Lassen Sie das, Herr Fink! Machen Sie es nicht noch schlimmer, als es eh schon ist.«
    »Sie stellen unhaltbare Verdächtigungen in den Raum!«, rief Finks Ehefrau Gabriele. »Wir sind keine Kriminellen!«
    »Ich muss widersprechen.« Baltasar ging zum Altar. »Jemand von Ihnen, von den Marienkindern, kannte das Mädchen, dessen Skelett im Acker von Herrn Fink gefunden wurde. Jemand von Ihnen ist der Vater des Kindes, das genauso wenig leben durfte wie seine Mutter: Eva Helming. Und dieser Jemand ist Hubert

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