Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
soweit ich das beurteilen kann. Aber er hat bestimmt auch eine dunkle Seite, von der niemand was weiß.«
»Schade, dass der Fall nicht in unsere Zuständigkeit fällt. Bei diesen Beweisen wäre es leicht, ihn …«
»Was heißt hier Zuständigkeit? Wenn ich es richtig verstehe, hat man uns um Amtshilfe gebeten, oder nicht? Wie könnten wir einen Kollegen im Stich lassen? Wo wir doch den mutmaßlichen Täter ganz gut kennen, oder?«
»Amtshilfe, genau, das ist es. Ein informelles Gespräch, noch keine offiziellen Ermittlungen, das klingt perfekt.«
»Und wir kommen endlich aus dieser Bude raus. Das Wetter ist viel zu schön. Wer weiß, wie lange es noch so bleibt. Das müssen wir ausnutzen.«
8
A n der Fundstelle bei den Totenbrettern hatte sich augenscheinlich nichts verändert. Baltasar hatte auf dem Weg zur Familie Fink dieselbe Route genommen wie mit Sebastian, nun hielt er kurz an und betrachtete das Feld. Der Bereich, den er ausgegraben hatte, war gut zu erkennen. Es blieb rätselhaft, warum die Tote nicht direkt bei den Gedenktafeln bestattet worden war. Andererseits passten die Inschriften nicht zum Alter der Verstorbenen. Baltasar radelte weiter.
Nach einer Biegung sah er den Bauernhof vor sich, ein Feldweg bog rechtwinklig von der Straße ab und führte direkt zu dem Haus. Es war ein rechteckiger Bau, ein wuchtiger Kasten aus Ziegelstein, die Fassade rau und abweisend, die Fenster wie Schießscharten. Die Maschinenhallen und Ställe mussten dahinter liegen, das Muhen der Kühe war zu hören. Vor dem Haus parkte ein Kombi älteren Baujahrs.
Eine Klingel war nirgends zu entdecken. In einer Nische über der Eingangstür stand eine Marienstatue, davor eine Vase mit Blumen. Baltasar klopfte. Nichts rührte sich. Er klopfte fester. Keine Reaktion. »Hallo, ist hier jemand?« Seine Worte verhallten. Er lugte durch das Fenster neben dem Eingang, konnte aber im Halbdunkel der Küche kaum etwas erkennen.
»Hallo!«
Er wartete eine Weile, dann umrundete er das Haus. Der Boden des Hinterhofs bestand aus gestampfter Erde und Gras, am Rand war eine Parzelle als Gemüsebeet abgeteilt. Parallel zum Hauptgebäude verlief eine Halle, links stand ein Tor offen und gab den Blick frei auf einen Traktor und einen Mähdrescher. Rechts war eine Holztür, die zum Stall führen musste. Baltasar klopfte. Als keine Reaktion kam außer einem Muhen, trat er ein. Ein Mittelgang teilte die Halle exakt in zwei Hälften, Holzverschläge links und rechts beherbergten das Vieh. Die verdreckten Fenster ließen kaum Licht herein, einzig die Deckenleuchten sorgten für Helligkeit. Direkt neben dem Eingang stand ein Bidet, wie es in manchen Badezimmern zur Intimwäsche üblich war. Baltasar war irritiert, unwillkürlich hielt er Ausschau nach einer Toilettenschüssel, aber nur das Bidet war da und passte zu diesem Ort genauso wenig wie ein Liegestuhl.
»Hallo?«
Ein Rattern übertönte den Ruf, es klang wie ein Kompressor. Niemand war zu sehen. Baltasar schritt den Gang entlang. Die Kühe hatten die Köpfe durch die Gitterstangen gesteckt und kauten das Stroh, das vor ihnen in einer Mulde lag. Träge und gleichgültig sahen sie auf, als Baltasar an ihnen vorbeiging. Es roch nach Jauche und Vergorenem. In der letzten Box machte er eine Bewegung aus. Beim Näherkommen sah er jemanden am Boden knien und mit Geräten hantieren, ein Mann in Arbeitshosen und Gummistiefeln. Es war Sebastians Vater.
»Hallo, Herr Fink.«
Der Angesprochene fuhr hoch, und es dauerte eine Sekunde, bis er den Besucher erkannt hatte. Er schaltete die Melkmaschine ab. Sofort kehrte Ruhe ein. »Ach, Sie sind’s, Hochwürden. Ich hatte niemanden erwartet. Was treibt Sie denn zu uns?«
Der Hausherr machte keine Anstalten aufzustehen und den Verschlag zu verlassen. Er war von massigem Körperbau, seine Hände vernarbt. Seine Miene spiegelte Verdruss wider. Baltasar wusste nicht, wie er das Gespräch beginnen sollte, er hatte schließlich dem Jungen versprochen, ihn nicht zu verraten.
»Ich hatte vorn im Haus geklopft, aber niemand hat aufgemacht. Da ich das Auto gesehen habe, dachte ich, ich schau hier nach. Störe ich bei der Arbeit? Ich kann gerne auch ein anderes Mal wiederkommen.«
»Hab eigentlich zu tun. Was gibt es denn so Wichtiges? Hat der Sebastian wieder was ausgefressen?«
»Nein, nein, im Gegenteil. Er ist ein fleißiger Ministrant. Ich wollte mit Ihnen nur besprechen, ob es in Ordnung geht, wenn der Junge nächste Woche bei der Abendmesse aushilft.
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