Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
übernommen und einfach stehen lassen, wo sie waren. Schließlich möchte ich mich nicht an den Toten versündigen, bei der Jungfrau Maria.« Er bekreuzigte sich.
»Kannten Sie die Personen, die da vermerkt sind? Ich konnte nicht die ganze Schrift entziffern.«
»Wer weiß. Ist auch egal, die sind alle längst tot.« Wieder bekreuzigte er sich.
»Ist denn das wirklich eine Begräbnisstätte, direkt in einem Feld? Ich arbeite nicht lange genug in der Gemeinde, deshalb kenne ich nicht alle örtlichen Gepflogenheiten.«
»Sie sind ein Zugereister, das weiß jeder. Keiner von uns. Sie meinen, ob da drunten in der Erde wirklich ein Sarg liegt? Bei Gott, das will ich gar nicht wissen. Wie Sie vielleicht gesehen haben, ist der Bereich um die Totenbretter unbewirtschaftet. Kommen Sie, gehen wir zurück.«
Sie gingen schweigend in den Kuhstall. »Einen Moment.« Alfons Fink räumte die Melkmaschine beiseite, einen Edelstahlbehälter mit vier Schläuchen und Saugöffnung. »Ist bald Zeit fürs Futter. Ich bringe Sie hinaus.«
Baltasar blieb im Mittelgang stehen. »Noch mal zu den Grabmalen auf dem Feld. Sie müssen doch Informationen darüber haben, ob in Ihrer Erde jemand bestattet ist. Ich könnte mir schon vorstellen, dass die Stelle als Friedhof benutzt wurde.«
»Können Sie sich vorstellen oder wissen Sie mehr?« Die Worte des Landwirts hatten einen lauernden Unterton.
»Wie meinen Sie das?«
»Nun tun Sie nicht so, Hochwürden. Halten Sie mich nicht für damisch, nur weil ich ein einfacher Bauer bin. Ich hab Sie gesehen, wie ich mit meinem Bulldog vorbeigefahren bin.«
»Wo gesehen?« Baltasar ahnte Schlimmes.
»Als ob Sie das nicht wüssten. Wie Sie das halbe Feld umgegraben haben und sich in die Grube gelegt haben. Wollten Sie sich vor mir verstecken, oder haben Sie nur eine Liegeprobe gemacht?« Fink verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.
»Ich habe mich einfach für die Hintergründe der Totenbretter interessiert und war neugierig, ob dort wirklich jemand bestattet wurde oder nicht.« Baltasar spürte, wie er rot wurde.
»Schon gut, Sie müssen mir nichts erklären, Hochwürden. Recht seltsam ist es schon, was Sie da so treiben.«
»Ich habe ein Skelett entdeckt. Können Sie mir dazu Näheres sagen? Um wen handelt es sich?«
Alfons Fink baute sich vor ihm auf. »Ich sag Ihnen was, Hochwürden, hören Sie genau zu: Lassen Sie die Toten ruhen. Das ist ein Frevel, das gehört sich nicht. Sie können es nicht wissen, Sie sind nicht von hier, aber ich sage Ihnen bei Gott, stören Sie die Totenruhe nicht, das ist eine Sünde. Was vorbei ist, ist vorbei. Ich will nicht, dass Sie dort nochmal herumwühlen. Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram! Gehen wir, ich muss jetzt arbeiten.« Alfons Fink geleitete ihn hinaus. Vor dem Bidet machte er Halt, stellte seinen Fuß hinein und drückte die Spülung. »Für Gummistiefel ideal«, sagte er.
9
D ie Kerzen waren fast niedergebrannt. Er löschte die Dochte, entfernte die Stummel und setzte neue Kerzen ein. Die Luft war erfüllt vom Duft des heißen Wachses, ein Geruch, der ihn an Weihnachten erinnerte. Baltasar staubte das Altarbild und den Tabernakel ab, wedelte über die Mutter Gottes und die anderen Heiligenfiguren. Er überlegte, ob er das Altartuch zum Waschen bringen sollte, verschob es aber auf nächste Woche. Die Rosen in der Bodenvase arrangierte er neu, entfernte die verwelkten Blütenköpfe und goss Wasser nach. Es war Routinearbeit, und doch nahm Baltasar sie genauso ernst wie die heilige Messe. Schließlich war es seine Kirche, ein Ort zum Verweilen und Nachdenken, eine Einladung an alle zum Besuch und zum Gebet.
Das Geräusch der Eingangstür ließ ihn aus seinen Gedanken hochschrecken. Zwei Männer waren eingetreten, der eine tauchte den Finger ins Weihwasser und machte das Kreuzzeichen. Sie kamen näher. Baltasar glaubte, sie zu kennen, und aus Glaube wurde Gewissheit, als die beiden vor ihm standen. Sofort sank seine Laune: Kommissar Dix und sein vorlauter Assistent, Doktor Mirwald.
»Gott zum Gruße, Hochwürden. Sie erinnern sich noch an uns?« Der Kommissar reichte ihm die Hand. »Wolfram Dix und mein Kollege Mirwald.« Während Baltasar nickte, setzte Mirwald ein falsches Lächeln auf.
»Ich hätte nicht gedacht, Sie wieder hier zu sehen, und ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob ich mich über Ihren Besuch freuen sollte. Wenn die Polizei ins Haus kommt, bedeutet das meist nichts Gutes. Was treibt Sie in die Kirche, meine
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