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Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald

Titel: Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Schreiner
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erfüllen. Als Nepomuk mit der Idee des Rosenkranzes für die Marienstatue ankam, habe ich deshalb sofort ja gesagt, als er noch Geld brauchte.«
    »Das hätten Sie doch früher schon erzählen können.«
    »Mir liegt nicht dran, dass ich an die Öffentlichkeit gehe und mit dieser Spende prahle, das ist nicht meine Art. Außerdem bin ich es unserer Familie schuldig, sie von Neidern fernzuhalten. Sie wissen doch, wie die Leute sind und hinter dem Rücken reden, wenn jemand vermögend ist. Das muss man nicht auch noch zur Schau stellen. Außerdem wollte Nepomuk, dass niemand darüber spricht.«
    »Der Chef der Marienkinder. Unterwerfen sich alle seinem Befehl so wie Sie?«
    »Ich bitte Sie, Herr Pfarrer! Ich bin doch keine Marionette. Zu unserer Glaubensgemeinschaft will ich keinen Kommentar abgeben, das ist meine Privatsache.«
    »Was halten Sie von der These, das ermordete Mädchen habe ebenfalls zu den Marienkindern gewollt?«
    »Wer denkt sich denn so was aus? Wie gesagt: kein Kommentar. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, meine Schwiegertochter wird langsam ungeduldig.«
    39
    Z um Frühstück gab es selbstgebackenes Hefegebäck mit Marmeladenfüllung und Glasur, von Teresa als polnisch-bayerisches Schmankerl angepriesen. Beim ersten Bissen glaubte Baltasar, einen Zuckerschock zu erleiden, aber zusammen mit einem Schluck Kaffee ließen sich die Dinger ganz gut essen. Die Zeitung brachte einen kurzen Artikel über den Mord, wobei zu spüren war, dass es eigentlich nichts Neues zu vermelden gab. Im Regionalteil hatten sich drei Leserbriefschreiber zu Wort gemeldet, die ebenfalls die Mopsfledermaus gesehen haben wollten.
    Baltasar genoss es, allein mit Teresa zu frühstücken, ohne seinen übereifrigen Gast. »Wir müssen Pater Pretorius seine Sachen bringen«, sagte er. »Sonst steht er plötzlich vor unserer Tür, weil er nichts zu lesen hat.«
    »Ich schaun in sein Zimmer und suchen alles heraus.« Teresa räumte ihr Geschirr weg und verschwand.
    Für heute hatte er sich vorgenommen, nochmal zum Haus von Walburga Bichlmeier zu gehen. Seit dem Besuch mit Kommissar Dix hatte er das Gefühl, etwas übersehen zu haben. Er konnte einfach nicht glauben, dass die alte Frau keinerlei Erinnerungsstücke, keine Andenken, keinen Talisman aufbewahrt hatte. Ihm war die Wohnung zu kühl, zu unpersönlich erschienen.
    »Herr Senner, bitte kommen!« Teresa rief aus dem Gästezimmer.
    Er ging zu ihr. Sie hatte den Koffer von Pretorius aufgeklappt auf dem Bett liegen, auf der einen Seite ein Stapel mit Kleidung, auf der anderen Bücher und Papiere.
    »Sehen Sie, was ich gefunden habe.« Teresa zeigte ihm einen schmalen Aktenordner. »Ich hab zufällig aufgeschlagen, weil ich schauen wollte, ob unser Gast diese Unterlagen vielleicht braucht. Dann ich entdecken das.« Sie tippte auf die aufgeschlagene Seite. Darauf stand, in Pretorius’ typischer Schnörkelschrift, der Name Baltasar Senner. Zusammen mit Angaben über die Gemeinde, und auch ein aktuelles Datum fehlte nicht. Baltasars Neugier war geweckt.
    »Das nehme ich mit.« Baltasar breitete den Ordner auf dem Küchentisch aus. Die Seite war ein Vordruck, eine Art Protokoll, bei dem der Pater begonnen hatte, die einzelnen Felder auszufüllen. Den meisten Platz nahm ein Feld mit dem Titel »Abschlussbericht« ein. Es war noch leer und zog sich bis über das nächste Blatt. Dann las Baltasar die Überschrift des Ganzen: Visitation. Er spürte, wie ein Schock durch seine Nervenbahnen wanderte. Er brauchte einen Schluck heiliges Wasser, bevor er weiterlesen konnte.
    Pater Pretorius war ein Visitator.
    Der Begriff kam aus dem Lateinischen und hieß übersetzt Besucher. Nur hatte das Wort in der katholischen Kirche eine andere Bedeutung. Dort klang es eher nach »Dementoren«, jenen Kreaturen aus der Harry-Potter-Welt, die alles Leben aus einem heraussaugten. Eine Visitation war der offizielle Besuch eines Bischofs oder seines Vertreters, eben des Visitators. Dessen Anwesenheit, obwohl in nette Floskeln verpackt, hatte nur einen einzigen Zweck: Kontrolle der Untergebenen. Er war also so etwas wie ein Oberinspekteur mit besonderen Vollmachten. Besser gesagt: ein Schnüffler. Ein Spion im Auftrag Seiner Exzellenz.
    Mit einem Schlag offenbarte sich der Plan von Vinzenz Siebenhaar. Baltasar bewunderte, wie geschickt der Bischof diesen Pretorius als normalen Gast eingeführt hatte, ein Besucher, der nur ein wenig den Bayerischen Wald erkunden wollte. Dabei sollte sich der Pater in

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