Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Wirklichkeit bei ihm einschleichen und im Geheimen einen Bericht über ihn und die Zustände in seiner Pfarrei verfassen, so wie er es bereits in anderen Gemeinden in ganz Deutschland getan hatte. Vermutlich hoffte sein Vorgesetzter, damit einen Hebel in die Hand zu bekommen, um Baltasar loszuwerden.
Noch war Zeit zu reagieren. Er grübelte über Abwehrmaßnahmen. Dann fasste er einen Entschluss. Er telefonierte mit Philipp Vallerot, schilderte ihm das Problem und erklärte ihm, was er vorhatte. Er bat ihn, mit Teresa ins Krankenhaus zu Pater Pretorius zu fahren, weil er noch etwas anderes erledigen musste und kein Auto hatte.
Im Sonnenlicht des späten Vormittags wirkte das Haus Walburga Bichlmeiers freundlich und einladend. Fast erwartete man, dass die Tür aufging und die Bewohnerin einen zu sich hereinbat. Aber die alte Frau war tot, ermordet von einem Unbekannten. Baltasar blickte sich um, ob ihn jemand gesehen hatte. Das Grundstück lag abseits, geschützt durch Hecken und Bäume. Und ein Fußgänger konnte sich unbemerkt anschleichen.
Das Eingangsschloss trug das Siegel der Polizei, eine Hintertür gab es nicht. Deshalb musste er wohl oder übel klettern. Er nahm die Bank vom Vorgarten und trug sie unter das Fenster der Toilette. Das Toilettenfenster schwang mit einem Knarren auf. Baltasar hielt inne und horchte, ob sich in der Nachbarschaft etwas rührte. Doch es blieb still. Die Fensteröffnung war ziemlich eng, er zwängte sich kopfüber hinein, blieb mit seinem Gürtel hängen, suchte nach einem Halt, klammerte sich an der Kloschüssel fest, zog daran, plötzlich ging die Spülung, der Gürtel löste sich, und Baltasar fiel auf den Badezimmerboden. Eine Zeitlang blieb er auf dem Rücken liegen. Vorsichtig bewegte er seine Glieder. Er schien sich nichts verstaucht zu haben.
Es war ein seltsames Gefühl, sich im Haus einer Toten aufzuhalten. Er kam sich vor wie ein Eindringling, was er de facto ja auch war. Denn er hatte das Haus unbefugt betreten, trotz Polizeisperre. Er war also so etwas wie ein Einbrecher, nur ohne böse Absichten. Es diente dem höheren Zweck der Wahrheit und Gerechtigkeit, deshalb plagten ihn keine Gewissensbisse, und der liebe Gott hatte dafür sicher Verständnis.
Was genau suchte er? Baltasar wusste es selber nicht. Er wusste nicht einmal, wo er suchen sollte.
Zuerst probierte er es im Schlafzimmer. Es gab wenig Möglichkeiten für Verstecke. Er hob die Matratze hoch, tastete die Unterseite der Nachtkästchen-Schublade ab, strich mit der Hand über die Rückseite. Nichts. Die Bücher auf dem Stuhl: Werke über Kräuterheilkunde, Medizin und Christentum. Die Taschen der Kleider im Schrank gaben ebenso wenig her wie der Platz zwischen den Lagen von Handtüchern oder oben auf dem Möbel. Alles war einfach, ordentlich – und unpersönlich.
Die Regale in der Küche waren größtenteils ausgeräumt, die Heilsubstanzen hatte die Kriminalpolizei mitgenommen. Im Hängeschrank lagerte Geschirr. Baltasar zog einzelne Tassen heraus, prüfte, ob sie leer waren, fand einige Münzen, legte sie zurück. Im Unterschrank lagerten Kerzen, Streichhölzer und Schüsseln, neben der Spüle fanden sich Eimer, Besen und Putzlappen. Er nahm die Marienfigur vom Fensterbrett, es war eine billige Ausführung aus bemaltem Gips. An der Seite hing ein Rosenkranz an einem Nagel, die Holzperlen der Gebetskette waren abgegriffen, das Kreuz hatte einen Sprung.
Gab es einen Keller? Baltasar untersuchte den Fußboden, ob dort eine Klappe eingelassen war, fand aber nichts. Er ging nochmal alle Räume ab, um zu prüfen, ob er den Kellerzugang übersehen hatte, doch das Gebäude war direkt auf die Erde gebaut, so wie oft bei alten Bauernhäusern im Bayerischen Wald. Alles in allem war seine Suche bisher ein Fehlschlag gewesen. Hatte sich bereits vorher jemand Zutritt verschafft und alles Belastende beiseitegeräumt?
Blieb noch der Dachboden. Baltasar zögerte, weil er keine Lust hatte, abermals Staub zu schlucken. Außerdem hatte Kommissar Mirwald oben bereits alles inspiziert. Dennoch gab Baltasar sich einen Ruck. Er benutzte den verbogenen Schöpflöffel als Hilfswerkzeug und sprang zur Seite, als die Falltür nach unten schwang und ihm eine Dreckdusche bescherte.
Oben roch es muffig und säuerlich. Die geringe Firsthöhe des Dachstuhls ließ eine aufrechte Haltung nur in der Mitte zu, ansonsten musste man sich bücken, um zum Rand zu gelangen. Die Schmutzschichten der beiden Fenster ließen nur gefiltertes
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