Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Licht herein. Baltasar verspürte das Bedürfnis, die Fenster aufzureißen und Frischluft in seine Lungen zu lassen, aber er traute sich nicht aus Angst davor, entdeckt zu werden.
Auf der einen Seite lagerten Teile eines zerbrochenen Stuhls, eine Zinkwanne, mehrere leere Bilderrahmen aus Holz. An der Kaminsäule lehnte ein Eisengestell. Er zog es hervor, der Mörtel bröckelte. Es sah aus wie eine Klappliege, der Lack war abgeplatzt, Rostflecken hatten sich wie ein Geschwür über das Gestell ausgebreitet. Baltasar öffnete den Verriegelungsmechanismus und zog mehrmals, bis er das Gestell ausfahren konnte. Es handelte sich nicht um ein Notbett, sondern um eine Art Massageliege. Das Leder der Auflagefläche war zerschlissen, die Seegrasfüllung quoll heraus. Wozu hatte die alte Frau eine solche Spezialliege gebraucht? Sie war zum Schlafen völlig ungeeignet.
In einer Ecke stand ein Koffer. Baltasar rutschte auf den Knien dorthin, es war wie ein Bußgang um die Gnadenkapelle in Altötting. Der Koffer enthielt vergilbte Zeitschriften über Heilkräuter, das Hebammenwesen und religiöse Phänomene. In einer Pappschachtel fanden sich Muscheln und ein Glas mit Sand. Ein Schwarzweißfoto zeigte ein Bauernhaus in einer Naturlandschaft, ohne Beschriftung. Zeigte das Bild die ursprüngliche Heimat von Walburga Bichlmeier?
Neben dem Koffer lag eine Blechkiste von der Größe eines Schuhkartons, von einem Vorhängeschloss gesichert. Baltasar suchte nach einem Hebel, fand eine alte Eisenstange und sprengte den Verschluss. Die Box war gefüllt mit seltsam gebogenen Werkzeugen aus Stahl, dem Aussehen nach handgefertigt. Sie erinnerten entfernt an chirurgische Instrumente. Welchen Zweck erfüllten die Geräte ursprünglich? Er konnte sich nicht vorstellen, dass die alte Frau als Handwerkerin gearbeitet hatte.
Der Schweiß floss ihm von der Stirn. Er musste niesen. Einen Moment ausruhen, sich auf den Boden setzen, den Rücken an die Wand lehnen, durchatmen und warten, bis sich der Staub gelegt hat. Es war Zeit zu gehen. Baltasar wuchtete sich hoch, worauf die Holzwand hinter ihm leicht nachgab. Ein Brett war lose. Als er wieder stand, fiel ihm etwas auf: Die andere Seite des Dachbodens bestand aus Ziegeln, diese jedoch aus Holz. Er lockerte das Brett weiter, bis es sich verschieben ließ. Dahinter war es dunkel. Er tastete hinein, sein Arm verschwand fast darin, bis er eine Mauer fühlte. Offenbar zog sich ein Bretterverschlag über die gesamte Breite des Daches.
Baltasar nahm die Eisenstange und hebelte weitere Bretter weg, bis die Lücke groß genug war, um hineinzusehen. Im Dunkel zeichneten sich einige Gegenstände ab. Er griff danach und holte sie heraus. Sein Herz schlug schneller. War das ein Geheimversteck?
Es waren drei Gegenstände: zwei rechteckige Pakete, in Leintuch eingeschlagen, und eine altmodische Sporttasche aus Kunstleder, auf der das Logo einer bekannten Sportfirma prangte. Er wickelte die Pakete aus. Sie enthielten jeweils ein Fotoalbum. Die Bilder mussten in den fünfziger Jahren entstanden sein. Viele zeigten eine junge Frau, die den Gesichtszügen nach Walburga Bichlmeier sein musste. Ein Teil der Fotos war auf Urlaubsreisen aufgenommen worden, Walburga Bichlmeier Arm in Arm mit einem jungen Mann, mal am Meer, mal auf einer Bergwanderung. Von anderen Bildern lachte ein Kleinkind, ein Mädchen, dazu Gruppenaufnahmen aus der Vorkriegszeit von einer Familie und einem älteren Ehepaar, vermutlich ihre Eltern.
Mit dem Ärmel wischte Baltasar die Staubschicht von der Sporttasche und öffnete den Reißverschluss. Darin waren eine Jeans, T-Shirts, Damenslips und flache Lederschuhe. Kleidung einer Frau, jedoch sicher nicht von Walburga Bichlmeier. Er wollte gerade die Sachen ausbreiten, als er von draußen jemanden rufen hörte.
»Hallo, ist da jemand?«
Er wusste nicht, ob das ihm galt. Schnell stopfte er die Kleidung und die Fotoalben in die Tasche und versuchte, so leise wie möglich hinunter in die Küche zu klettern. Jemand ging ums Haus herum.
»Hallo!« Eine Frauenstimme.
Vorsichtig, als müsse er eine Glasscheibe einpassen, ließ er die Falltür einschnappen. Es knarrte.
Ein Klopfen an der Haustür ließ ihn zusammenfahren. »Hallo, ich habe was gehört. Hier ist doch jemand drin. Machen Sie auf! Hallo!« Die Frauenstimme klang energisch. Es fehlte nicht mehr viel, und sie würde die Polizei rufen.
Die Zeit drängte. Baltasar lief ins Badezimmer, warf die Tasche aus dem Fenster und kletterte
Weitere Kostenlose Bücher