Stout, Maria
Böse irgendetwas mit dem Gesetz des Dschungels zu tun haben. Was geht
hier also vor? Wie David Papineau in seiner in der New York
Times erschienenen Kritik von Matt Ridleys Buch The Origins
of Virtue ("Ursprünge der Tugend") gefragt hat: "Wenn
die netten Kerle immer die Letzten waren, als unsere Vorfahren die afrikanische
Savanne nach Nahrung durchkämmten, warum ist Moral für uns heute so
selbstverständlich?"
Und
Menschen sind keineswegs die einzigen Tiere, die sich selbstlos verhalten
können. Thomsongazellen hüpfen zur Warnung ihrer Artgenossen auf und ab, wenn
sie ein Raubtier sehen, womit sie ihre eigenen Überlebenschancen schmälern,
aber die Fluchtchancen der Herde verbessern. Schimpansen teilen ihr Fleisch und
manchmal sogar ihre liebsten Früchte untereinander. Der Psychobiologe Frans de
Waal hat berichtet, dass Raben mit lauten Rufen die Entdeckung eines kostbaren
Kadavers dem Schwarm mitteilen und sich damit der Gefahr eines Angriffs durch
Wölfe aussetzen. 54
Geht es
ans Überleben, besteht offensichtlich ein gewisser Interessenskonflikt zwischen
dem Individuum und der Herde / der Gemeinschaft / dem Schwarm. Erklärungen für
die Ursprünge der von Evolutionspsychologen so bezeichneten "altruistischen
Verhaltensweisen" beziehen sich zumeist auf die Selektionseinheit der Evolution. Werden nur Individuen durch die natürliche Selektion
als Überlebende "ausgewählt" oder könnte vielleicht die Auslese auf
der Ebene der Gruppe stattfinden und somit das Überleben ganzer Populationen
vor anderen begünstigen?
Falls das "Überleben
des Tüchtigsten" sich nur auf das Individuum als Selektionseinheit
bezieht, ist es fast unmöglich, die Entstehung von Selbstlosigkeit zu erklären
- aus demselben Grund, aus dem der gnadenlose Skip, Doreen, Luke und Hannahs
Vater sehr wahrscheinlich als Individuen die anderen auf der einsamen Insel
überleben würden. Falls jedoch die Selektionseinheit die Gruppe als Ganzes ist,
kann ein gewisses Maß an Altruismus erklärt werden. Es ist ganz einfach so,
dass eine Gruppe, die sich aus Individuen zusammensetzt, die kooperieren und
füreinander sorgen, sehr viel wahrscheinlicher als Gruppe überleben wird, als
andererseits ein Kollektiv von Individuen, die lediglich miteinander
konkurrieren können oder keine gegenseitige Anteilnahme hegen. Geht es ums
Überleben, wird diejenige Gruppe erfolgreich sein, die in gewissem Maße als
Einheit agiert und nicht die Gruppe, in der jedes einzelne Individuum ohne
Rücksicht auf die anderen nach dem eigenen Vorteil strebt.
Gruppenselektion
und ihre gesamten Implikationen auf unsere wahre Natur wird unter den Anhängern
der Evolutionstheorie sehr kontrovers diskutiert, was zeigt, dass die Theorie
der Evolution an sich noch nicht abgeschlossen ist. Frühe Theorien zur
Gruppenselektion zogen die Möglichkeit in Betracht, dass es am Anfang eng
verbundene Gruppen altruistischer Individuen gegeben haben könnte (Säugetiere,
die durch ihr Verhalten Artgenossen warnten, Vögel, die ihrem Schwarm Nahrung
signalisierten, großzügige Primaten, etc.), die durch Gruppenselektion begünstigt
werden konnten. Diese nur dürftig begründete Annahme - Ansammlungen von
Altruisten aus blauem Himmel heraus - irritierte viele Gelehrte, die sie dann
als unwissenschaftlich verdammt haben.
Im Jahr
1966 veröffentlichte George C. Williams von der Universität Chicago den
mittlerweile klassischen Artikel Adaptation and Natural Selection 55 ("Anpassung und natürliche Auslese"), in dem er die
Auffassung vertrat, dass Gruppenselektion theoretisch möglich sei, aber
wahrscheinlich nicht in freier Natur vorkommen würde. Williams vertrat die
Meinung, dass weder die Gruppe noch das
Individuum die fundamentale Selektionseinheit sei, sondern das Gen selbst. Bei
Lebewesen, die sich sexuell fortpflanzen - im Gegensatz zu Organismen, die
Klone erzeugen -, sei das Gen das einzige Element, das sich (mehr oder weniger)
genau im Laufe der Zeit selbst reproduziere. Kinder seien keine exakten Kopien
ihrer Eltern, aber Gene sind ziemlich
genaue Nachbildungen ihrer selbst. Und daher beharrte Williams darauf, dass das
Gen das einzige Element sein müsse, das von der natürlichen Auslese effektiv
benutzt werden könne. Mit anderen Worten: Das "Überleben des Tüchtigsten"
sei das Überleben der tüchtigsten Gene (oder vielmehr der in ihnen kodierten
Informationen), nicht notwendigerweise das Überleben der tüchtigsten einzelnen
Tiere oder Gruppen. Für Williams existierten
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