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Stout, Maria

Stout, Maria

Titel: Stout, Maria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Soziopath von nebenan
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gefolgt von Schweigen, das von angestrengt nachdenklichem Stirnrunzeln
begleitet wird, als sei die Frage in einer Sprache gestellt worden, die nur
halb verständlich sei. Dann grinsen oder lachen die meisten Menschen,
anscheinend peinlich berührt von der Autorität des Gewissens über ihr Leben
und antworten sinngemäß: "Ich weiß nicht genau, was ich tun würde, aber
ich würde mich sicherlich anders verhalten als jetzt."
    Nach dem "Großartig"
und einer kurzen Pause lachte ein besonders phantasievoller Mann leise in sich
hinein und sagte: "Vielleicht wäre ich der Diktator eines Kleinstaates
oder so etwas." Er sagte das, als ob eine solche Ambition schlauer und
beeindruckender sei als die gesellschaftlich wertvolle freiberufliche
Laufbahn, die er tatsächlich eingeschlagen hatte.
    Wäre es
schlauer, kein Gewissen zu haben? Wären wir glücklicher? Wir wissen, dass
menschliche Gemeinschaften in Schwierigkeiten wären - ganze Nationen von
Soziopathen, jeder von ihnen nur auf seinen eigenen Vorteil aus. Aber
realistisch auf der persönlichen Ebene betrachtet - wären Sie oder ich als
Individuen glücklicher und besser gestellt, wenn wir die Einschränkungen des
Gewissens abschütteln könnten? Manchmal scheint es so. Unehrenhafte Menschen
halten Positionen der Macht und Wirtschaftsbetrüger kaufen Privatjets und
Yachten, während wir verantwortungsvoll arbeiten und mit "vernünftigen"
Ratenzahlungen das Auto abbezahlen. Aber wie lautet die wahre Antwort? Haben
Soziopathen aus psychologischer Sicht wirklich ein besseres Leben als
unsereins, oder ist es doch irgendwie das glücklichere Schicksal, ein Gewissen
zu haben?
    In
ironisch funktioneller Weise sind wir von Anfang an von der Natur selektiert
worden, um soziale, teilende Wesen zu sein; unsere Gehirne sind in emotionaler
Verbundenheit untereinander verdrahtet und mit einem Gewissen ausgestattet.
Oder vielmehr sind wir alle bis auf einige, wenige Ausnahmen diesem Pfad
gefolgt. Manche haben von einem anderen, aber ebenso geschäftsmäßigen
Ausleseprozess profitiert und sind zu Gaunern geworden, gleichgültig gegenüber
ihren Brüdern und Schwestern, mit emotional unverdrahteten Gehirnen, die durch
und durch selbstsüchtige Pläne ausbrüten. Aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts
mit den Augen der Psychologie beurteilt: Über welches dieser beiden uralten Lager
lässt sich sagen, dass es das bessere Geschäft mit der menschlichen Natur
gemacht hätte, die sozial Verantwortungsvollen oder die Soziopathen?
     
    Die Schattenseite des Gewinnens
     
    Es wäre
schwierig, die Feststellung zu widerlegen, dass Menschen, die in keiner Weise
durch ein Gewissen beeinträchtigt werden, manchmal zu Macht und Reichtum
kommen, zumindest für eine Weile. Zu viele Kapitel der menschlichen
Geschichtsschreibung, von der allerersten Zeile bis hin zu den jüngsten
Einträgen, handeln von den enormen Erfolgen militärischer Invasoren und Eroberer,
von Räuberbaronen und Begründern von Imperien. Solche Menschen sind entweder
schon zu lange tot oder zu privilegiert, um formell mit den Mitteln der
klinischen Psychologie untersucht zu werden. Geht man allerdings von einigen
ihrer wohlbekannten und vielfältig dokumentierten Verhaltensweisen aus, müssen
wir - auch ohne ihre Punktzahl auf der Pd-Skala zu kennen - annehmen, dass
eine erkleckliche Anzahl von ihnen kein in emotionalen Bindungen zu anderen
verwurzeltes, intervenierendes Gefühl der Verpflichtung zeigen würde. Mit
anderen Worten: Manche von ihnen waren - und sind - Soziopathen.
    Die Lage
wird dadurch noch fataler, dass ihre Zeitgenossen für gewöhnlich brutalen
Eroberern und Staatengründern mit Ehrfurcht begegnen; zu Lebzeiten werden sie
gerne als Vorbilder für die gesamte menschliche Rasse angesehen. Zweifellos
sind unzählige Mongolenjungen im 13. Jahrhundert mit Geschichten über den
unbezwingbaren Dschingis Khan zu Bett gebracht worden, und man fragt sich,
welche der modernen Helden, die wir unseren eigenen Kindern anpreisen,
letztlich als von rücksichtslosem Egoismus getrieben in die Geschichte
eingehen werden.
    Auch für
sexuelle Eroberungen ist die Abwesenheit eines Gewissens durchaus nützlich. Zur
Illustration möge ein Sprössling desselben legendären Tyrannen dienen: Tushi
Khan, dem ältesten Sohn von Dschingis Khan, wurde nachgesagt, vierzig Söhne
gezeugt zu haben - qua Geburtsrecht konnte er sich die schönsten Frauen unter
den eroberten Völkern aussuchen. Die anderen Besiegten wurden

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