Stout, Maria
uns
so fremd ist, können wir sie oft nicht erkennen oder abwehren, bevor sie nicht
die Menschheit auf unergründliche Weise geschädigt haben. Aber, wie Gandhi mit
Staunen und Erleichterung festgestellt hat: "Am Ende kommen sie immer zu
Fall - man denke nur, immer!"
Das
gleiche Phänomen spielt sich auch im kleineren Rahmen ab. Alltägliche Menschen
ohne ein Gewissen bringen Kummer über ihre Familien und Gemeinden; aber am Ende
haben sie einen Hang zur Selbstzerstörung. Kleine Soziopathen könnten lange
genug überleben, um einige der anderen auf unserer imaginären Wüsteninsel zu
dominieren, womöglich auch einige Gene vererben; aber in letzter Konsequenz
würden sie wahrscheinlich an den Füßen aufgehängt werden.
Einer der
Gründe für dieses letztliche Scheitern ist offensichtlich, besonders bei
Fällen infamer Despoten wie Mussolini oder Pol Pot, die von wütenden vormaligen
Anhängern getötet und verstümmelt worden sind: Wenn man genug Menschen
unterdrückt, beraubt, ermordet und vergewaltigt, werden schließlich einige von
ihnen sich zusammentun und Rache üben. Wir können das auch in der wesentlich
weniger epischen Geschichte von Doreen Littlefield erkennen: Die Chancen
standen immer gegen sie, und schließlich beging sie zufällig den Fehler, die
falsche Person gegen sich aufzubringen. Aber es gibt weitere, weniger offensichtliche
Gründe für das letztliche Scheitern eines Lebens ohne Gewissen - Gründe, die
nicht in der Wut anderer Menschen, sondern in der Psychologie der Soziopathie
selbst liegen.
Und der
erste dieser Gründe ist schlicht und ergreifend Langeweile.
Ist das alles?
Wenn wir
auch alle wissen, was Langeweile ist, erleben doch die meisten normalen
Erwachsenen nur selten pure Langeweile. Wir sind gestresst, gehetzt und
besorgt, aber selten wirklich gelangweilt - zum Teil, eben weil wir so
gestresst, gehetzt und besorgt sind. Wenn wir uns einmal nicht um irgendetwas
kümmern müssen, empfinden wir das gewöhnlich als eine Atempause, nicht als
Monotonie. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie schiere Langeweile sich
anfühlt, müssen wir an unsere Kindheit zurückdenken. Kinder und Heranwachsende
sind oft gelangweilt, so sehr gelangweilt, dass sie es kaum ertragen können.
Ihr während der Entwicklung völlig normales Bedürfnis nach Stimulation, der
Drang, Entdeckungen zu machen und ständig etwas Neues zu lernen, wird oft in
einer Welt langer Autofahrten, regnerischer Nachmittage und Schulaufgaben nicht
befriedigt. Für ein Kind kann Langeweile qualvoll sein, wie eine Migräne oder
ein starker Durst, der nicht gelöscht werden kann. Sie kann so sehr schmerzen,
dass das arme Kind am liebsten laut schreien oder mit lautem Gepolter etwas an
die Wand werfen würde. Man könnte extreme Langeweile als eine Art Schmerz
bezeichnen.
Zum Glück
haben wir Erwachsenen nicht mehr dieses Bedürfnis nach ständiger Stimulation.
Trotz unserer Belastungen leben wir zumeist auf einem durchaus zu bewältigenden
Niveau der Erregung, weder unerträglich überreizt noch unterstimuliert - mit
Ausnahme von Soziopathen. Soziopathen haben berichtet, dass sie fast ständig
nach zusätzlicher Stimulation gieren. Manche haben das Wort süchtig verwendet,
also zum Beispiel süchtig nach Nervenkitzel, süchtig nach
Risiko. Solche Süchte entstehen, weil die beste (und vielleicht die einzige)
nachhaltige Therapie für Unterstimulation unser Gefühlsleben ist, und zwar so
sehr, dass in einigen Lehrbüchern der Psychologie die Begriffe Erregung und emotionale
Reaktion fast austauschbar verwendet werden. Wir werden stimuliert
durch unsere bedeutsamen Bindungen, Interaktionen und glücklichen und
unglücklichen Momente, die wir zusammen mit anderen Menschen erleben; und
Soziopathen haben kein solches Gefühlsleben, das sie erleben könnten. Sie sind
nicht in der Lage, die manchmal entsetzliche, manchmal spannende, aber immer
vorhandene Erregung zu erleben, die mit echten Bindungen zu anderen Menschen
unvermeidlich einhergeht.
Laborexperimente
mit elektrischen Schlägen und lauten Geräuschen 67 haben gezeigt,
dass selbst die physiologischen Reaktionen (Schwitzen, Herzrasen etc.), die
normalerweise durch gespannte Erwartung und erlernte Furcht hervorgerufen
werden, bei Soziopathen sehr viel schwächer ausgeprägt sind. Als adäquate Stimulation
bleiben den Soziopathen nur ihre Machtspiele, und solche Spiele werden sehr
schnell alt und schal. Wie bei einer Droge muss das Spiel wieder und wieder
gespielt
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