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Stout, Maria

Stout, Maria

Titel: Stout, Maria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Soziopath von nebenan
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wir moralische Dilemmata reflektieren und zu
einer spezifischen Entscheidung gelangen. Aber gibt es Übereinstimmung in
unseren emotionalen Reaktionen auf den moralischen Konflikt zwischen Gut und
Böse, einen fast universellen siebten Sinn, der verlässlich alle unsere
kulturellen Unterschiede und staatlichen Grenzen ignoriert?
    Und falls
ja - wie ist er beschaffen?
     
    Die universelle Bindung
     
    Den
letzten Abschnitt dieses Kapitels über die Ursprünge des Gewissens beginne ich
am Morgen des 11. September 2003 zu schreiben. Gewöhnlich schätze ich Ruhe,
während ich arbeite; aber an diesem Morgen habe ich den Fernseher im
Nebenzimmer eingeschaltet, so dass ich die Stimmen der Kinder hören kann, die
dort, wo früher die Türme des World Trade Centers gestanden haben, die
einzelnen Namen der Menschen verlesen, die an diesem Ort umgekommen sind.
Früher an diesem Morgen hatte ich mich von meiner Tochter verabschiedet, als
sie sich auf den Weg zur Schule machte, ebenso wie am Morgen des 11. September
zwei Jahre zuvor. Der Unterschied war, dass vor zwei Jahren die ganze Welt sich
zwischen unserem Abschied und ihrer Rückkehr aus der Schule verändert hatte.
    Ich spüre,
wie leicht die Flut von Emotionen noch immer kommt, obwohl seitdem zwei Jahre
verstrichen sind.
    Von allen
unerwarteten Reaktionen, die ein Mensch während einer Katastrophe empfinden
kann, war für mich eine der erstaunlichsten das plötzliche und sehr bewusste
Gefühl der Verbundenheit mit allen Menschen, die ich jemals im Leben seit
meiner Kindheit kennen gelernt hatte, mit allen Menschen, die mir jemals,
vielleicht auch nur kurz, wichtig gewesen waren, mit jedem Menschen, für den
ich jemals Zuneigung empfunden hatte. In den Tagen nach dem 11. September 2001
erinnerte ich mich an Menschen, die ich seit Jahren - oder zum Teil seit
Jahrzehnten - nicht getroffen oder an die ich womöglich nicht einmal gedacht
hatte. Ich habe ihre Gesichter in fast irritierender Klarheit vor mir gesehen.
Ich hatte keine Ahnung, wo viele dieser Menschen inzwischen lebten, da es so
lange her war, seit wir uns getroffen hatten; aber ich hatte das hilflose
Verlangen, zum Telefon zu greifen und sie alle anzurufen. Ich wollte sie
fragen, wie es ihnen ging - meine Englischlehrerin vor vielen Jahren an der
High School in North Carolina, eine Zimmergenossin am College, der gutherzige
Ladeninhaber in Philadelphia, bei dem ich gelegentlich einkaufte und der
manchmal Lebensmittel an Bedürftige verschenkte, nicht ohne seine anderen
Kunden zur Diskretion zu verpflichten. Wie ging es ihnen? Die, die ich
erreichen konnte, rief ich an. Niemand war darüber auch nur im geringsten
erstaunt. Wir meldeten uns einfach untereinander.
    Moralische
Abwägung - die Art, wie wir über moralische Dilemmata nachdenken - ist alles
andere als einheitlich und universell. Sie wird von Alter und Geschlecht
beeinflusst. Sie unterscheidet sich zwischen verschiedenen Kulturen und sehr
wahrscheinlich Landstrichen oder gar einzelnen Haushalten. So werden zum
Beispiel meine Ansichten über den Terrorismus und das, was wir dagegen tun
sollten, sich ein wenig von denen meines Nachbarn unterscheiden, und sie werden
sich fast zwangsläufig unterscheiden von den Überzeugungen von Menschen, die
durch Ozeane und Kontinente von mir getrennt sind. Aber gewissermaßen als
menschliches Rätsel bleibt bei fast allen von uns - mit einigen bemerkenswerten
Ausnahmen - eine Konstante, und zwar das tiefe Gefühl der Verbundenheit zu
unseren Mitmenschen. Emotionale Verbundenheit ist ein Teil der meisten
Menschen, bis hinunter zu den Molekülen, aus denen unsere Körper und Gehirne
konstruiert sind, und manchmal werden wir nachdrücklich daran erinnert. Es
fängt in unseren Genen an und durchdringt von dort aus alle unsere Kulturen,
Überzeugungen und viele Religionen - es ist der Schatten eines Flüsterns über
den Keim der Einsicht, dass wir alle Eins sind. Und was immer ihre Ursprünge
auch sein mögen - dies ist die Quintessenz des Gewissens.
     
    Z E H N
     
    bernies
entscheidung: warum ein leben mit gewissen besser ist
     
    Glücklich
bist du, wenn deine Gedanken, Reden und Taten im Einklang sind.
    —Mahatma
Gandhi
     
    Falls Sie
völlig frei von einem Gewissen sein könnten, ohne moralische Skrupel und ohne
jegliches Schuldbewusstsein - was würden Sie wohl aus Ihrem Leben machen? Wenn
ich jemandem diese Frage stelle, was ich oft getan habe, ist die typische
Antwort: "Großartig!" oder "Ach, du meine Güte ..."

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