Stout, Maria
Ziele, die
in einer Partnerschaft oder einer Gruppe durch eine gemeinschaftliche Anstrengung
hätten erreicht werden können, werden gewöhnlich durch den absoluten Egoismus
des Soziopathen torpediert. Diese Laufbahn hin zum letztlichen Scheitern wird
typischerweise von berüchtigten Tyrannen genommen und auch von unzähligen
weniger prominenten soziopathischen Arbeitgebern, Kollegen und Ehegatten.
Wenn der
Nervenkitzel der Manipulation anderer Menschen die Oberhand gewinnt, wie es bei
Soziopathie der Fall ist, werden alle anderen Ziele überschattet. Die
resultierende "gestörte Lebenstüchtigkeit" kann - wenn sie sich auch
davon unterscheidet - ebenso schwerwiegend sein wie die durch schwere Depressionen,
chronische Angstzustände, Paranoia und andere Geisteskrankheiten verursachten
Einschränkungen. Und der emotionale Bankrott der Soziopathie bringt es mit
sich, dass der Soziopath nie in der Lage sein wird, authentische emotionale
Intelligenz zu entwickeln, ein Verständnis dafür, wie Menschen funktionieren -
eine unersetzliche Leitlinie für das Leben in der Welt der Menschen. Wie
Doreen, die tatsächlich glaubt, sie könne ihre persönliche Macht durch das
Verunglimpfen anderer Menschen ausbauen, wie Skip, der sich allzeit immun
wähnt gegen die Gesellschaft und ihre Regeln, wie der gestürzte Diktator, der
fassungslos ist angesichts des hasserfüllten, verhandlungsunwilligen Mobs "seiner
Genossen", neigt ein Mensch ohne Gewissen - selbst ein gerissener - dazu,
ein kurzsichtiges und überraschend naives Individuum zu sein, das schließlich
durch Langeweile, finanziellen Ruin oder eine Kugel umkommen wird.
Das extreme Gewissen
Und doch
ist der bezwingendste Grund für den Wunsch, ein Gewissen zu besitzen, statt
frei von ihm zu sein, nicht etwa die Liste der ruinösen Nachteile, die
Soziopathie mit sich bringt. Nein, das Beste daran, mit Moral ausgestattet zu
sein, ist die profunde und strahlend schöne Gabe, die uns in der Hülle des
Gewissens - und nur darin - zuteil wird. Die Fähigkeit zu lieben ist mit
dem Gewissen verbunden, so wie der Geist mit dem Körper verbunden ist. Das
Gewissen ist die Verkörperung der Liebe und durchdringt umfassend unsere
biologische Konstruktion. Es lebt in dem Teil des Gehirns, der emotional
reagiert, und zum Nutzen unserer Lieben, wenn sie Aufmerksamkeit, Hilfe oder
gar ein Opfer von uns brauchen. Wir haben bereits gesehen, dass ein Mensch, der
außerstande ist zu lieben, auch kein echtes Gewissen haben kann, da das
Gewissen ein auf unseren emotionalen Bindungen zu anderen Menschen beruhendes,
intervenierendes Gefühl der Verantwortlichkeit ist. Jetzt kehren wir diese
psychologische Gleichung um: Die andere Wahrheit ist, dass ein Mensch, der kein
Gewissen hat, auch nie wirklich lieben kann. Subtrahiert man den Imperativ der
Verantwortlichkeit von Liebe, bleibt nur ein dünnes, drittklassiges Ding - der
Wille zu besitzen, und das ist mitnichten Liebe.
Kurz nach
den Anschlägen des 11. September 2001, mit denen ein besonders finsteres und
aggressives Kapitel unserer Geschichte begonnen hat, sagte mir mein Freund
Bernie, der Psychologe, ohne zu zögern, dass er sich für ein Gewissen entscheiden
würde, trotz der scheinbaren Zweckmäßigkeit eines Daseins ohne Gewissen, dass
er aber nicht sagen könne, warum. Ich glaube, dass Bernies intuitive Entscheidung
auf der unauflöslichen Verbindung zwischen dem Gewissen und der Fähigkeit zu
lieben beruhte, und dass Bernie, vor die Wahl gestellt zwischen aller Macht,
allem Geld und Ruhm der Welt und dem Privileg, seine eigenen Kinder lieben zu
können, sich auf der Stelle für Letzteres entscheiden würde. Zum Teil, weil er
ein guter Mensch ist; aber auch, weil Bernie ein guter Psychologe ist und etwas
darüber weiß, was wirklich die Menschen glücklich macht.
Es gibt
das Streben nach Besitz und Dominanz, und es gibt die Liebe. Ob er nun seine
Beweggründe in dem betreffenden Moment benennen konnte oder nicht - durch seine
Entscheidung für das Gewissen hat der Psychologe Bernie de facto die Liebe
gewählt, und das überrascht mich keineswegs. Dominanz kann einen temporären
Nervenkitzel produzieren, aber sie macht den Menschen nicht glücklich - im
Gegensatz zur Liebe.
Aber kann
es nicht auch ein Zuviel an Gewissen geben? Gibt es nicht
Psychologen, die behauptet haben, dass Menschen - weit davon entfernt,
glücklich zu sein - durch ihr Gewissen tyrannisiert und in schwere
Depressionen getrieben werden können?
Ja
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