Sträfliche Neugier
diesem
Coup nicht beteiligt. Als er seinen Vater in der Haftanstalt besuchte und die
Zustände sah, unter denen dort die Häftlinge vegetierten, beschloss er sein
Leben radikal zu ändern. Er gab umgehend seine kriminelle Karriere auf, erwarb
den Führerschein und verdiente sich wieder sein Brot als Kraftfahrer.
Als Stanislaw wieder einmal von seinem Sohn im Gefängnis
besucht wurde, fragte er sich: ›Wozu habe ich denn einen Sohn, der mit allen
Wassern gewaschen ist? Ja, natürlich, Miroslav ist jetzt in den besten Jahren,
der würde das schon schaffen! ‹
Und nun schilderte er Miroslav alles über seine Rückkehr
aus deutscher Gefangenschaft und von dem Versteck im Keller einer Schlossruine.
Er konnte Miroslav anhand einer kleinen Skizze aber nur deren ungefähre Lage
beschreiben. Den Namen der Kleinstadt im Südwesten Deutschlands hatte er
inzwischen vergessen.
»Ich erinnere mich nur noch an
ein Hinweisschild«, erklärte er Miroslav, »da stand was drauf wie Hohburg oder so, aber das könnte dir vielleicht weiterhelfen.«
So machte sich Miroslav
Strogulski auf die lange Reise. Er tauschte eine größere Summe polnischer
Zlotys in US-Dollars um und bestach damit Zollbeamte, die ihm dabei halfen, die
schwer bewachten Staatsgrenzen zwischen der Volksrepublik Polen, der DDR und
der Bundesrepublik Deutschland zu überwinden. Nachdem er die ihm noch
verbliebenen US - Dollars in DMark umgetauscht hatte, fiel er total erschöpft
in einer grenznahen Gastwirtschaft ins Bett. Als er am Morgen aufwachte, musste
er feststellten, dass ihm sein restliches Geld gestohlen wurde. Ohne zu bezahlen
verschwand er und fuhr er per Anhalter nach Hamburg, wo er gleich eine Arbeit
zu finden glaubte. Sobald er genug verdient hätte, wollte er sich ein altes
Auto anschaffen, um möglichst schnell den Schatz bergen zu können. Doch es kam
ganz anders.
Da er in der Schule etwas Englisch gelernt hatte, fand er
sich in Deutschland gut zurecht. Aber er war jetzt mittellos und kam nicht
umhin, seine goldene Rolex-Armbanduhr– ein Geschenk seiner Eltern aus besseren
Zeiten – in einem Pfandhaus gegen DMark einzutauschen.
In einem Bierlokal auf der Reeperbahn, dem Hamburger
Amüsierviertel, lernte er den Dänen Ole Petersen kennen, der ihn dazu
überredete, bei einem Banküberfall Wache zu stehen. Miroslav überlegte nicht
lange. Die Aktion verlief jedoch nicht wie geplant. Ein Bankangestellter wurde
durch einen Schuss aus Ole Petersens Revolver schwer verletzt. Beide Kumpane
flüchteten ohne Beute. Die Polizei nahm die Verfolgung auf, die bis ins dichte
Schienen-Wirrwar des Bahngeländes führte. Während Ole von einem sich bedroht
fühlenden Polizisten erschossen wurde, sprang Miroslav auf einen durchfahrenden
Güterzug, fand dort aber keinen Halt und stürzte nach kurzer Fahrt ab. Man
entdeckte ihn neben den Bahngleisen liegend mit gebrochenen Beinen und
erheblichen inneren Verletzungen.
In einem kurzen Strafprozess wurde Miroslav zu einer
zehnjährigen Haftstrafe verurteilt, die er bis auf den letzten Tag in ›Santa
Fu‹ ,der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel, absaß. Etwas
Positives hatten ihm die langen Haftjahre immerhin eingebracht: Er hatte
während dieser Zeit gut Deutsch sprechen gelernt. Der Aufenthalt in Santa Fu war also nicht ganz umsonst gewesen.
Seit dem Unfall kann sich nur noch humpelnd fortbewegen.
Außerdem leidet er an rötlichen Ekzemen im Gesicht, was er auf die ständige
Einnahme schmerzstillender Medikamente zurückführt.
Endlich rückte der Tag seiner Entlassung näher. Da bemerkte
sein langjähriger Zellengenosse:
»Na, du wirst dich sicher freuen, bald wieder in Polen zu
sein – oder?«
Daran hatte Miroslav die ganze Zeit nicht mehr gedacht,
nämlich dass er nach der Haftentlassung in seine Heimat abgeschoben werden
könnte. Nein, das durfte nicht passieren, denn vorher hatte er noch eine
wichtige Aufgabe zu erfüllen. Er musste daher an Flucht denken, komme was da
wolle. Seine wenigen Habseligkeiten in der Zelle würde er abschreiben müssen,
auch die persönlichen Gegenstände, die man ihm bei der Einlieferung abgenommen
hatte. Und das kleine Guthaben, das er im Laufe der Zeit angespart hatte, war
dann eben auch futsch, aber was blieb ihm schon anderes übrig?
Bereits seit einem halben Jahr
war er wegen guter Führung zu Arbeiten außerhalb des Gefängnisses eingesetzt
worden. Als er eines Tages im Stadtpark ›Planten un Bloomen‹ den Rasen
mähte, sagte er sich:
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