Sträflingskarneval
tötete Seth seinen Bruder“, erklärte Raoul wissend und schaute zur Mumie. „Osiris Ehefrau Isis, die gleichzeitig seine Schwester war, konnte den Tod ihres Geliebten nicht akzeptieren. Daher bat sie Anubis – bekannt als Gott der Einbalsamierung – um Hilfe. Gemeinsam setzten sie den zerschlagenen Körper von Osiris wieder zusammen, und durch Anubis entstand so die erste bekannte Mumie. Schließlich kehrte Osiris durch göttliche Magie ins Leben zurück. Später wurde er zum Gott der Unterwelt erklärt, nachdem sein Sohn Horus ihn an Seth rächte und diesen umbrachte.“
„Eine einfache Erklärung“, antwortete Ryan, der diese altägyptische Legende aus einem seiner Geschichtsbücher kannte und schon mehrmals gelesen hatte. „Doch sie erklärt nicht, wieso das hier Osiris’ Mumie sein soll, findest du nicht?“
„Die Antwort darauf ist ebenso einfach. Osiris, Isis, Horus und Seth lebten wirklich … und sie waren Djed . Aus den zahlreichen mündlichen Überlieferungen wurde irgendwann im Laufe der Jahrhunderte aus der Legende ein Mythos, und so entstand der Götterglaube.“ Anschließend grinste er noch breiter, ließ Ryan verwirrt zurück und schritt auf Kimberly zu.
In Ryans Gesicht spiegelte sich der Unglauben wider und er kämpfte gegen einen Lachanfall. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Jedoch erinnerte er sich gleichzeitig an Álvaro Luengos’ Worte, dass der Vatikan niemals akzeptieren würde, wenn dieses Wissen an die Öffentlichkeit gelänge, hinzu kam Hinthrones Besessenheit von diesem Schatz. Wenn er hier tatsächlich die Wahrheit vor Augen hatte, dann wäre es auch kaum verwunderlich, dass machtgierige Intriganten aus diesem Wissen Kapitel schlagen wollten. Dafür würden Menschen wahrlich töten und einen Krieg beginnen. Dieses Wissen würde nicht nur die Menschheitsgeschichte in ein neues Licht rücken, es würde die Menschheit nachhaltig für immer verändern oder sogar für alle Zeiten auslöschen.
Während Ryan mit der Wahrheit rang, trat Raoul leise neben Kimberly. Sie hielt ein abgebrochenes Teilstück einer Lanze in der Hand und musterte es interessiert.
„Das sieht so aus …“, flüsterte sie vor sich hin und sah zu den restlichen Stücken, die vor ihr in einer offenen Truhe lagen. „Nein, das kann ja nicht sein. Aber …“
„Was denn genau?“, erkundigte sich Raoul.
„Das Ding ähnelt der Beschreibung einer Waffe, die es gar nicht gibt“, sagte sie zweifelnd und schüttelte vehement den Kopf.
„Wenn du damit andeuten willst, es handelt sich um die berüchtigte Lanze des Longinus, mit der Jesus am Kreuz erstochen wurde“, antwortete er spitzbübisch, „dann hältst du gerade genau diese Lanze in der Hand.“
„WAS?“ Kimberly warf das Teilstück überrascht in die Truhe. „Sag mir, dass das nicht stimmt“, flehte sie irritiert und weigerte sich die Wahrheit zu akzeptieren.
Gillean, Ryan und Aidan, durch ihren Schrei aufgeschreckt, kamen sofort näher.
„Es ist wahr“, verkündete Raoul stolz. „Sie ist so echt, wie mein Name Raoul Jaramago lautet und Gillean mein Sohn ist.“
„Soll das etwa heißen, die Büste da vorne ist das echte Abbild der Nofretete?“ Gillean schluckte merklich und deutete in besagte Richtung. „Aber ihre Büste steht doch im Museum in Berlin.“
„Eine Fälschung“, entgegnete sein Vater und klopfte zuerst Kimberly und danach seinem Sohn auf die Schulter. „Das ist eine Fälschung. Alle von ihr sind Fälschungen, dort drüben steht das einzige und unersetzbare Original, ohne irgendwelche Schrammen. War sie nicht eine Augenweide?“
„Dann willst du mir auch weiß machen, dass das Tuch da hinten nicht nur zufällig ein wenig Ähnlichkeit mit dem Grabtuch des Jesus in Turin hat, sondern, dass es das echte ist? Mit dem echten Blutflecken?“ Diese Frage stellte Aidan, der es ebenso wenig begreifen konnte wie seine Freunde, obwohl sie tief im Innern wussten, dass es die Wahrheit war.
„Natürlich.“ Raoul schien sich über die sprachlosen Gesichter sichtlich zu freuen. Allerdings hätte er in ihrem Fall vermutlich nicht anders reagiert. Alles, was sich in dieser Höhle befand, war mit hundertprozentiger Sicherheit echt, von den Djed zusammengetragen und seitdem wohl behütet und abgeschottet von der Menschheit.
„Dort auf der anderen Seite“, meinte Raoul und zeigte auf eine weitere Mumie. „Das ist der Leichnam des Verräters Judas Ischariot aus Judäa. Gegenüber, in dem langen Regal, befinden sich die
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