Sträflingskarneval
getötet, er hatte ihn selbst geschändet und wie ein Stück Dreck behandelt, und für diese Gräueltaten sollte er auf ewig in der Finsternis des Todes lodern. Niemals mehr durfte diese Bestie auch nur einem Menschen ein Leid antun.
Wie aus weiter Ferne hörte er Gillean und Kimberly schluchzen. Ryan sprach zu ihm, aber er verstand ihn nicht, er wollte es auch nicht. Langsam hob er die Waffe und zielte auf Peter Smith, der mit seiner mittlerweile nachgeladenen Browning aus seinem Versteck trat.
„Du willst mich umbringen?“, fragte der Muskelberg feixend und kam vorsichtig näher. „Eigentlich dachte ich, wir zwei könnten noch ein wenig Spa –“
Ein lauter Knall hallte durch die Höhle; die erste Kugel hatte sich aus Aidans Waffe gelöst und traf Smith am rechten Oberschenkel. Er zischte und schaute erbost zu seinem plötzlich gar nicht mehr willigen Opfer. „Das war ein Fehler, mein Sü-“
Ein weiterer Schuss brachte ihn zum Verstummen. Irritiert starrte er an sich herunter und entdeckte an der linken Seite seines dunklen Hemdes ein kleines Loch. Fast augenblicklich spürte er die ersten Schmerzen und wollte nun seinerseits auf Aidan schießen. Doch er hatte kaum den Arm gehoben, da kam Aidan immer schneller auf ihn zugelaufen und feuerte jetzt eine Kugel nach der anderen ab.
Aidan war es egal wohin er zielte, er schoss und schoss, immer und immer wieder. Wie in Trance löste sein Finger den Abzug von ganz alleine aus, als wäre es das Normalste auf der Welt, als hätte er nie etwas anderes getan. Es war so einfach, so verdammt einfach. Vor sich sah er nur noch Smith, der reglos auf dem Boden lag und in seinem eigenen Blut badete. Ja, es war so einfach… Er musste nur den Zeigefinger bewegen, mehr war nicht nötig. Einfach abdrücken, abdrücken, abdrücken …
„Aidan … Aidan, hör auf! Aidan ... Aidan, es ist vorbei!“, drang von irgendwoher plötzlich eine ihm bekannte Stimme in seinen Kopf ein. „Aidan, lass los, es ist vorbei.“
Er holte tief Luft und spürte, wie ihm die Waffe aus der Hand gerissen und weggeworfen wurde. Dann zog ihn jemand fest in die Arme und strich ihm beruhigend über den Rücken. „Es ist zu Ende. Alles ist gut. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Wir sind sofort gekommen, als Álvaro die Nachricht bekam, dass Mönche im Kloster tot aufgefunden wurden.“
Aidans Geist nahm die Worte wie durch einen Schleier wahr, und ganz langsam begann er sich aus seinem Rauschzustand herauszureißen. Er roch den Schwefel in der Luft, gemischt mit dem süßen, metallischen Geruch von Blut. Dann stürmten seine Gefühle auf ihn ein. Wie ein tobender Hurrikan brachen die Trauer, die Wut, die Verzweiflung und die Hoffnung über seinem Kopf zusammen und die Freude obsiegte über die Angst. Dabei kristallisierte sich ein Gedanke deutlich heraus: Er hatte willentlich einen Menschen getötet. Smiths Blut klebte an seinen Händen. Er hatte das Ungeheuer vom Antlitz der Welt getilgt. Plötzlich wurde ihm übel.
Eilig ließ er seinen Vater los und spie hustend und würgend Galle aus. Seine Eingeweide knoteten sich zu einem Knäuel zusammen. Er spürte eine unaussprechlich schwere Schuld auf seinen Schultern ruhen, die mit einem gewaltigen Gefühl der befriedigten Rache wetteiferte. Was er getan hatte, war unentschuldbar und doch wusste er, er hatte richtig gehandelt.
„Du hast das Richtige getan“, flüsterte Lawren McGrath, als hätte er die Gedanken seines Sohnes gelesen. „Du bist jetzt in Sicherheit und musst dir für rein gar nichts die Schuld geben.“
Nach diesen Worten war es, als würde eine große Last von ihm genommen. Vorsichtig blickte er nach oben und sah seinen Vater, der ihn liebevoll anlächelte. „Dad“, murmelte Aidan, und im nächsten Moment wurde alles zu viel für ihn. Seine Beine gaben nach und eine willkommene Schwärze umfing ihn, als er bewusstlos in den Armen seines Vaters zusammenbrach. Ein letzter klarer Gedanke verschmolz mit der segensreichen Dunkelheit: Mit vereinten Kräften war es ihnen gelungen, das uralte Wissen vor den Händen der Feinde zu schützen. Die Zeit der Lügen, der Gewalt und der Ungerechtigkeit war vorüber, nun konnte die Wahrheit ihren Lauf nehmen.
Epilog
Gillean Jaramago schaute seit über einer Stunde zu den aufragenden Gipfeln der Sierra Nevada hinauf und konnte sich an diesem wunderschönen Ausblick kaum sattsehen. Letzte Nacht war Schnee gefallen und hatte die Bergspitzen mit einem weißen Puderzuckerüberzug bedeckt.
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