Sträflingskarneval
nicht noch finsterer werden würden.
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Ryans Erkenntnis
Zwei Wochen waren seit den Verhandlungen vergangen und der Schulalltag hatte die beiden Freunde eingeholt. Im neuen Schuljahr hatte sich so manches verändert. Nicht nur der Unterricht war anspruchsvoller geworden, alles wirkte auch irgendwie anders als vorher. Niemand fand eine Erklärung dafür, aber die Veränderungen nahmen doch alle wahr. Eigentlich hätten Ryan und Kimberley schon längst im Bett liegen sollen, aber sie konnten nicht schlafen und saßen daher kurz vor Mitternacht unten im Gemeinschaftsraum der Schüler. Gedankenverloren starrten sie in die glühenden Holzscheite des Kaminfeuers. Das Feuer tauchte den Raum in ein dunkles, orangefarbenes Zwielicht und unterstrich Ryans düstere Stimmung.
In den letzten Tagen hatte der große Wiederaufbau des Ordenshauses begonnen; es wurden große und kleine Umbauten im Innen- und Außenbereich vorgenommen. Der Ostflügel war bis auf Weiteres abgesperrt und kein Schüler durfte einen Fuß hineinsetzten. Andere Bereiche waren bereits komplett renoviert worden und wurden wieder benutzt, dies galt vor allem für die Unterrichtssäle. Andere Teile des Hauses wurden wiederum zurzeit neu aufgebaut. Nichts sollte mehr an den Angriff erinnern. Aber all die Betriebsamkeit konnte nicht über das hinwegtäuschen, was seit fünf Tagen hier passierte: Die schwere Arbeit wurde nicht etwa von einer Baufirma, sondern von den zu Sträflingsarbeit verurteilten Rebellen erledigt. Sie standen unter strengster Bewachung von Bartholemeus Hinthrones Männern, die durchaus Schlägertypen der übelsten Sorte Konkurrenz machten.
Nach dem heutigen Abendessen hatten Ryan und Kimberly ihre erste abstoßende Begegnung mit den Sträflingen und ihren Bewachern gehabt, als sie bei einem Spaziergang durch die kühle Abendluft zufällig auf sie stießen. Bis dahin hatte Ryan noch fest daran geglaubt, dass er den Schock über Rossalyns haarsträubende Erzählungen und die dadurch in seinem Kopf heraufbeschwörten Bilder längst verdaut hätte, doch er hatte sich geirrt. Der Grund hieß Aidan Kendrick McGrath. Wenn er an ihn dachte, begann sein Magen sich zu verkrampfen, als würde ein tonnenschwerer Felsbrocken darin rumoren.
‚Sträflingsarbeit’, spukte es durch Ryans Kopf. Immer wieder nur das eine Wort: Sträflingsarbeit . Zum ersten Mal verstand er Kimberly voll und ganz. Ein Sträfling zu sein war grausam, und die Behandlung, die ihnen widerfuhr, unmenschlich. Doch dass er gerade im Zusammenhang mit Aidan McGrath darüber nachsann, wollte er nicht einmal seiner besten Freundin auf die Nase binden. Das musste er ganz alleine mit sich selbst ausmachen.
Der Druidenorden hatte Aidan und 25 weitere Gebranntmarkte nach Omey Island geschickt. Aidan war der Jüngste und Schwächste unter ihnen; sein armseliges Erscheinungsbild, die schweren Ketten und die harte Arbeit hinterließen bei ihm sichtlich mehr Spuren als bei den anderen Kräftigeren. Ryan war sich sehr sicher, dass McGrath sogar noch schlechter aussah als bei seiner Verhandlung, und er schämte sich insgeheim, dass er so lapidar über die Sträflingsarbeit gesprochen hatte.
Sein ehemaliger Mitschüler trug immer noch die alte, verschlissene Kleidung die er auch am Verhandlungstag getragen hatte, inzwischen war sie starr vor Schweiß und Dreck. Seine Füße waren nackt, schwarz und an einigen Stellen blutverkrustet. Die schweren Fußfesseln ließen ihn kaum vorwärtskommen, was bei seiner abgemagerten Statur nicht verwunderte. Sein Gesicht war von Ruß verschmiert und das Haar von Matsch verklebt. Tiefer konnte kein Mensch fallen. Aber da war noch etwas anderes. Etwas, dass an Ryan nagte und ihm bitter aufstieß. Bei all dem Elend war ihm klar geworden, dass Aidan McGrath diese Strafe nicht verdiente. Er war ein Verräter, unbestreitbar, aber das hatte er nicht verdient. Sie waren etwa im gleichen Alter. Vor dem Desaster war Aidan genau wie Ryan ein Schüler des Internats gewesen, hatte dieselben Unterrichtsfächer besucht und mit den gleichen Alltagsproblemen zu kämpfen gehabt. Jetzt fristete er sein Dasein als Sträfling. Und nicht nur das. Ryan hatte die blutigen Striemen und Risse und auch die blauen Flecken unter Aidans zerrissenem Hemd gesehen. Der Verursacher dieser Wunden hieß Peter Smith. Ein übelgelaunter und furchteinflößender Muskelberg von einem Mann mit einer langen Lederpeitsche, die er nur allzu gerne einsetzte.
Trotz alledem war Ryan
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