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Sträflingskarneval

Sträflingskarneval

Titel: Sträflingskarneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Eickert
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nur zu gerne auch von den Schülern. Als Ryan und Kimberly sich der hölzernen Umzäunung näherten, war Mr. Brady jedoch nicht zu sehen. Normalerweise wartete er schon zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn ungeduldig auf seine Schüler. Heute hingegen war von dem ungeduldigen Lehrer im Kräutergarten nichts zu sehen; stattdessen hatte sich eine verdutzt dreinschauende Schülerschar versammelt, die geschockt zum nahegelegenen Wandrand starrte, von wo lautes, wütendes Geschrei zu ihnen herüberwehte.
    Ungefähr dreißig Meter entfernt brüllte Mr. Brady wütend und fuchtelte wild mit den Armen um sich. Vor ihm stand der Muskelprotz namens Smith, der seinen Prügelstock in der Hand hielt und vor Zorn bebte. In der anderen Hand hielt er die Peitsche. Hinter ihm hatten sich seine Wachkollegen im Halbkreis aufgestellt, während die Sträflinge dicht beieinander im Gras hockten und gespannt das Wortgefecht zwischen Mr. Brady und dem Aufseher verfolgten.
    Undeutlich tönten die Stimmen zu Ryan herüber. Mitten unter den kauernden Sträflingen entdeckte er einen Menschen auf dem Boden. Die Person wand sich unter Schmerzen und umklammerte mit den Händen das rechte Knie. Irgendetwas war passiert. Hoffentlich ist es nicht Aidan, dachte Ryan, und erinnerte sich an die Bitte von Rossalyn.
    „Was ist denn passiert?“, hörte er Kimberly eine Mitschülerin fragen.
    Aus den Augenwinkeln erkannte er in dem dunkelhaarigen Mädchen Alice, die eine Klasse unter ihm war und die Kimberly gerade erzählte, dass Mr. Brady mit angesehen hatte, wie der zwei Meter große Peter Smith ohne Grund auf einen der Sträflinge eingeschlagen hatte.
    Für einen winzigen Augenblick fiel Ryan ein Stein vom Herzen. Soweit er es aus der Ferne abschätzen konnte, war der Verwundete nicht Aidan. Aber was wäre gewesen, wenn sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hätten? Und wieder beschlich ihn dieses merkwürdige Gefühl in seiner Magengegend, welches er nicht einzuordnen vermochte. Auf der einen Seite hatte Aidan eine Strafe durchaus verdient, aber diese Tortur würde er sicherlich nicht mehr lange durchhalten. Dabei spukten ihm Kimberlys Worte durch seinen Kopf …
    „Die Gesetze stammen aus dem 12. Jahrhundert … Viele Sträflinge sind an Krankheiten oder Verletzungen gestorben. Für die Leute waren sie Abtrünnige, Verräter, der letzte Abschaum … und genauso wurden sie behandelt. Ob du Aidan nun magst oder nicht, er könnte schneller unter der Erde liegen, als du denkst. Oder wieder in Ll ŷr landen, was fast aufs Gle iche rauskommt.“
    Plötzlich verstand er, was Kimberley ihm die ganze Zeit versucht hatte zu sagen, und sein Hass auf Aidan schmolz wie Butter in der Sonne. Aidan könnte jederzeit der nächste sein, der dort verletzt auf dem Boden läge. Jemand musste ihm helfen. Dabei dachte er an das Gespräch mit Rossalyn McGrath und Kendra O’Neill zurück und an die flehende Bitte einer Mutter, die sich um ihren Sohn sorgte, der sich nicht wehren konnte. Aidan war der Grausamkeit der Wachleute hilflos ausgeliefert. Schließlich sprang Ryan Tavish über seinen eigenen Schatten.
    Ohne ein Wort warf Ryan seine Schultasche ins Gras und rannte die kurze Strecke zu Mr. Brady hinüber.
    Ryan ignorierte geflissentlich das Verbot sich den Sträflingen zu nähern, in ihm loderte mit einem Mal die blanke Wut, ein unbeschreiblicher Zorn auf den neuen Großmeister und auf das alte Gesetz.
    „Mr. Brady“, rief er laut und kam leicht außer Atem neben dem älteren Mann mit Halbglatze und Hornbrille zum Stehen. Die Aggressivität der beiden Parteien hing wie ein düsterer Nebelschleier über ihren Köpfen und erhitzte die Gemüter umso mehr.
    „Welch ein Vergnügen … der Urenkel höchstpersönlich“, sagte der Chefaufseher Peter Smith süffisant und musterte ihn abfällig. Sein fettiges, langes Haar, das ihm bis zu den Schultern reichte, fiel ihm strähnig ins verschwitzte Gesicht, die dunkelbraunen Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. Ein sardonisches Lächeln verzerrte sein Gesicht zu einer widerlichen Grimasse.
    Ryan ließ sich davon nicht abschrecken, obwohl er die Warnung, sich nicht einzumischen, da sonst etwas Schlimmes passieren könnte, deutlich aus der Miene seines Gegenübers ablas. Aber er konnte und wollte nicht mehr tatenlos zusehen!
    „Ryan … geh zurück“, erklang Mr. Bradys brummige Stimme und der Lehrer wirkte sehr unglücklich. Ob es nun an Ryans Auftauchen, dem Streit mit Mr. Smith oder einer Mischung

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