Sträflingskarneval
und es sich anschließend auf dem breiten Sofa neben ihnen gemütlich machte.
Ryan nutzte die Gelegenheit und schaute sich unauffällig um. Der Innenraum war augenscheinlich erst vor Kurzem renoviert worden; der Duft der neuen Farbe hing noch in der Luft und das Beige an den Wänden machte alles hell und freundlich. Das Wohnzimmer war klein, dafür aber umso gemütlicher. Links von ihm stand ein großes Bücherregal mit allen möglichen Werken, auf der anderen Seite war die Wand mit einer Unmenge von Bildern zugepflastert. Die meisten zeigten Leute, die er nicht kannte; auf einigen jedoch war sein Großvater zu sehen, und auf einem Bild die Familie McGrath. Außerdem gab es ein Foto von Kendras verstorbenem Mann, der sich vor zwei Jahren auf tragische Weise das Leben genommen hatte, nachdem ihre einzige Tochter bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Er hatte den Verlust nie verkraftet.
„Wir freuen uns, dass ihr zwei gekommen seid“, sagte die Hausherrin lächelnd. „Ich hoffe, euer Tag war noch schön, immerhin geht für euch bald die Schule wieder los und ihr solltet die restlichen Tage noch genießen.“
„Danke, wir haben Clifden ein wenig unsicher gemacht“, grinste Kimberly und nahm einen Schluck von ihrem Orangensaft.
„Bitte … können wir den Small-Talk nicht einfach überspringen und gleich zum Wesentlichen kommen?“, schlug Ryan zur Überraschung aller vor und gab sich nicht besonders viel Mühe erfreut zu klingen. Er wollte unbedingt die Unterhaltung vom Vormittag fortführen, denn sie spukte ihm immer noch im Kopf herum. Darüber hinaus wollte er wissen, welches Urteil Bartholemeus Hinthrone über Lawren McGrath verhängt hatte.
Rossalyn McGrath erging es ähnlich, denn von belanglosen Gesprächen hatte sie buchstäblich die Schnauze gestrichen voll. Sie war nicht mehr die angesehene und gesellschaftliche Dame, welche sie vor zwei Monaten noch gewesen war, sondern die tief gefallene Ehefrau eines schuldigen Mannes und die Mutter eines abtrünnigen Sohnes.
„Ich möchte dir persönlich noch einmal für deine Unterstützung vor Gericht danken“, sagte sie plötzlich und sah Ryan direkt an. „Du hattest es zwar anders gemeint, aber es kam von Herzen.“ Zitternd legte sie ihre Hände in den Schoß und ließ die beiden Schüler hinter ihre bröckelnde Fassade blicken. Ihre Stärke schien nun gänzlich verschwunden.
Bei diesem Anblick rührte sich Mitgefühl in Ryan, und auch wenn er ihren Mann und ihren Sohn hasste, konnte er diese Frau deswegen nicht verurteilen. Sie war nicht verantwortlich für deren Taten und litt genauso wie die übrigen Betroffenen.
„Ich konnte Richter Hinthrones Getue nicht ertragen“, gestand Ryan und war sich der verwirrten Blicke bewusst. „Der Nachmittag war lang und ich hab viel nachgedacht“, fügte er hinzu, „also guckt mich nicht so an.“
„Das heißt, du hast es endlich kapiert?“ Kimberly zwinkerte ihm frech zu.
Ryan nickte. „So gut wie.“
Ein ehrliches Kichern ließ beide aufhorchen. Rossalyn lächelte und das hellte ihre mageren Gesichtszüge auf. In diesem Moment ähnelte sie wieder der Frau, die sie einst gewesen war, und Ryan musste nun ebenfalls lächeln.
„Mein Gott, Ryan!“, rief Kimberly unerwartet theatralisch und warf in gespielter Manier ihre Arme in die Luft. „Das heißt, wir können uns endlich wie zivilisierte Menschen unterhalten, ohne dass du sauer abdampfst!“
Für einige Sekunden fixierte er seine beste Freundin ärgerlich, dann wurden seine Gesichtszüge weicher und er machte einen Schmollmund.
Erneutes Kichern erhellte das Wohnzimmer und Ryan, Kimberly und Kendra fielen mit ein. Rossalyn beruhigte sich als Erste wieder. Anschließend wandte sie sich formgewandt und mit gefestigter Stimme an Ryan. „Ich möchte mich im Namen von Lawren und Aidan bei dir entschuldigen. Natürlich weiß ich, dass es nur hohle Worte aus meinem Mund sind und sie ihre Fehler weder ungeschehen machen, noch deinen Verlust lindern können. Nichts, was ich sage, lässt die dunklen Schatten der Vergangenheit verblassen“, dabei bedachte sie auch Kimberly mit einem mitfühlenden Blick. „Mein Sohn hat dich … glaube ich … schikaniert und ich kann deinen Hass auf ihn irgendwie verstehen. Er war schon immer ein schwieriger Junge mit einem gewaltigen Dickschädel. Aber das ist nur der kleine Teil einer großen Wahrheit. Zufällig weiß ich, dass Aidan mit dir befreundet sein wollte, … aber so viel ist inzwischen passiert und dann kam
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