Sträflingskarneval
du dich nur lächerlich und lenkst die Aufmerksamkeit unnötig auf dich … oder besser gesagt auf uns“, versuchte er Gillean zur Vernunft zu bringen. „Wir tun gar nichts. Hinthrone erfährt eh alles von Smith und ihm ist es höchstwahrscheinlich egal, was der tut oder nicht. Aber warum sprach Smith von deinem Vater? Er kann ihn doch gar nicht kennen.“
Wunderbarer Themenwechsel, dachte Gillean. Er sah seinen Freund an und fühlte sich aufgrund der von Smith ausgespienen Worte auf einmal nicht mehr wohl in seiner Haut. Seine Gedanken rasten wild hin und her; bei diesem Thema war er äußerst sensibel und besonders verschwiegen. Er senkte er den Kopf und sagte: „Vergiss es einfach. Ich kümmere mich jetzt erstmal um deine Wunden, das ist wichtiger.“
Aidan spürte, dass er von seinem Freund keine Antworten mehr erwarten konnte und beschloss, nicht weiter nachzufragen. Außerdem lenkten seine schmerzenden Wunden ihn ab. Vorsichtig tastete er seine Nase und die Arme ab und stöhnte dabei unwillkürlich auf, es tat einfach höllisch weh. „Ahhhhh … verdammt!“
„Warte, ich hol dir schnell was aus dem Bad“, und Gillean verschwand, um keine zwei Minuten später wieder im Wohnzimmer zu erscheinen. In der Hand hielt er Verbandszeug, Pflaster, ein kleines Jodfläschchen und auch ein nasses Handtuch. Letzteres drückte er Aidan in die Hand. „Für die Nase.“
„Wieso bist du eigentlich nicht im Zug?“, fragte Aidan, während sein Freund ihn verarztete.
„Ich hatte meine Notizen vergessen und Kim gesagt, sie soll mich entschuldigen, weil ich einen Zug später käme. Aber so wie es aussieht, bleibe ich besser hier.“
„Dann war es wohl Schicksal?“
„Das war es wahrscheinlich.“
*
Zwei Stunden später trat Peter Smith zornig über die Türschwelle von Bartholemeus Hinthrones Büro des Ordenshauses in Galway. Hinter ihm trippelte der aufgebrachte Sekretär des Großmeisters und versuchte, den Muskelberg von Mann mit Worten und wildem Gestikulieren daran zu hindern weiterzugehen, stieß dabei jedoch nur auf taube Ohren.
Bartholemeus blickte überrascht von seiner Arbeit auf – ein langweiliger Bericht über die neusten Baufortschritte eines neuen Ordensgebäudes in Dublin – und sah Peter Smith mit ausdrucksloser Miene an. Er legte das Schreiben zur Seite, lehnte sich in seinem bequemen Ledersessel zurück, verschränkte die Hände vor der Brust und beobachtete die ungebetenen Gäste.
„Sie haben keinen Termin!“, beharrte der kleine und schmächtige Sekretär auf seinem Standpunkt und zupfte sich das Jackett seines dunkelbraunen Anzuges zurecht, um mehr Autorität auszustrahlen. „Sie müssen zuerst …“
„Schon gut, Ian“, erklang Bartholemeus tiefe Stimme und er bedeutete mit einem Wink, dass der aufgeregte Mann gehen konnte. „Ich werde mich persönlich darum kümmern. Danke.“
Der Sekretär wirkte für einen Augenblick wie vor den Kopf gestoßen, doch dann deutete er eine leichte Verbeugung an und machte auf dem Absatz kehrt. Unsanft fiel die Tür ins Schloss und hastige Schritte verrieten, dass der Mann zu seiner Arbeit am Schreibtisch zurückkehrte.
„Bist du verrückt, Peter?“, platzte Bartholemeus jäh heraus, wobei sich seine eben noch belanglos aussehenden Gesichtszüge in eine ärgerliche Maske verwandelten. Er richtete sich erzürnt in seinem Sessel auf und starrte den Aufseher säuerlich an. „Wir waren für morgen zur üblichen Uhrzeit und am üblichen Ort verabredet. Wieso kommst du jetzt in den Hauptsitz reinspaziert, wo dich jeder sehen kann?“
„Ach komm schon, Dad.“ Smith lachte. „Reg dich nicht auf, immerhin arbeite ich für dich. Du solltest dich echt weniger aufregen, in deinem Alter fängt es langsam an, dass das Herz nicht mehr so will. An deiner Stelle würde ich sehr vorsichtig sein.“ Er beendete den Satz mit einem Zwinkern.
Der Großmeister presste die schmalen Lippen fest aufeinander und fixierte sein Gegenüber umso verdrießlicher. Er konnte seinen unehelichen Sohn nicht ausstehen – einer seiner vielen vergangenen Fehltritte – und dazu war Peter zur Hälfte auch noch ein Formori, dessen Mutter vor zehn Jahren gestorben war. Dahingeschieden war aber auch seine offizielle Ehefrau Mary, zwei Jahre zuvor. Bartholemeus’ Ehe war kinderlos geblieben und somit besaß er amtlich keine Erben. Von der eigentlichen Verbindung zwischen den beiden Männern wusste kaum einer, lediglich ein paar ausgesuchte und vertrauenswürdige
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