Strafbataillon 999
verschwand er und seine Leute hinter ihm. Siebente – achte – neunte Gruppe. Jetzt war Obermeier selbst dran. »Los!« gab er sich den Befehl, sah kurz zurück zu seinen schweigenden, wartenden Leuten, die zusammengedrängt im Graben standen, sagte: »Es wird schon schiefgehen!« und kletterte über den Grabenrand. Vor ihm war Dunkelheit, und er tauchte in ihr unter wie ein flüchtiger, lautloser, greifbarer Schatten.
»Wenn das man gut geht!« murmelte der Leutnant, und dann sagte er zu dem Unteroffizier, der unmittelbar neben ihm stand: »Verdammt will ich sein, wenn ich an deren Stelle sein möchte …«
Zu gleicher Zeit, als die Gruppen der zweiten Kompanie weitverteilt in das Niemandsland zwischen der deutschen und der russischen HKL schlichen, erfolgte ein kurzer Feuerschlag der deutschen Artillerie und ein Scheinangriff im Bereich des Nachbarregiments: die geplante Ablenkung, die die Aufmerksamkeit der Russen an eine andere Stelle lenken sollte. Die Partisanen im Walde von Gorki unter Sergej Denkow wurden alarmiert. Gleich danach zogen sie jenseits der zweiten Kompanie als Bereitschaft an den Waldrand. Der Weg für die dem Wald am nächsten liegende Gruppe der zweiten Kompanie war frei.
Obermeier mit seiner Gruppe, Krüll mit dem Kompanietrupp und Unteroffizier Hefe mit zehn Mann wateten durch den tiefen Schnee im Wald, keuchten durch Verwehungen, schwitzten trotz beißender Kälte, fluchten und gönnten sich keine Ruhepause. Die Gruppenführer blieben ab und zu stehen und sahen auf den Kompaß, um sich nicht zu verirren. Hier die Richtung zu verlieren war gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Sie waren schon durch die russischen Linien hindurchgekommen und konnten jeden Augenblick auf feindliche Einheiten hinter der HKL stoßen, auf Reserven, die in diesen Räumen in Bereitstellungen liegen mußten.
Stunden vergingen, und die Männer waren der völligen Erschöpfung nahe – als sie plötzlich am Waldrand standen.
Obermeier sah auf die Uhr. Es war ein Uhr zwölf.
Vor ihnen lag eine Ebene, durchsetzt mit Buschgruppen und einzelnen Bäumen, dahinter konnte man im fahlen Licht des russischen Winters die dunklen Umrisse eines Dorfes erkennen, und vor ihnen, zwischen dem Waldrand und dem Dorf, standen – riesigen schwarzen Schatten gleich – hinter den Büschen, unter den Bäumen, getarnt mit Zweigen und ganzen Buschgruppen – russische Panzer.
»Meine Fresse«, sagte Schwanecke leise. »Ne ganze Armee! T 34! Wenn die losrollen –!«
»… dann haben wir nicht mal mehr Zeit genug, den Hintern zusammenzukneifen …«, beendete Wiedeck.
»Da helfen uns auch alle deine Taschen nicht mehr«, sagte Schwanecke zu Deutschmann und grinste ihn an.
»Haltet die Klappe!« sagte Hefe nervös.
»Mensch, werd' nur nicht kribbelig«, sagte Schwanecke. »Die Frage ist, was wir jetzt zu tun haben. Gesehen haben wir ja, was wir sehen sollten, oder?«
»Ungefähr«, sagte Wiedeck.
»Also, nichts wie ab«, beschloß Schwanecke. Sein Plan stand fest, jetzt war die Gelegenheit günstig. Auf dem Rückweg durch den Wald konnte er einfach zurückbleiben, unbemerkt verschwinden und dann eine passende Gelegenheit abwarten, um sich den Russen zu ergeben. Die Sache würde nicht ganz leicht auszuführen sein, denn mit einem einzelnen Gefangenen machten die Russen sehr oft keine großen Umstände. Eine Maschinenpistolengarbe war weitaus einfacher als der Rücktransport nach hinten. Andererseits dürfte es aber bestimmt auch Russen geben, die stolz sein würden, einen Gefangenen zu machen, und sehr froh, ihn zurücktransportieren zu können – möglichst weit hinter die Front. Denn auch die Deutschen schossen nicht mit Erbsen – und sie trafen sehr gut … Ob ein Deutscher oder Russe, hinter der Front ist es immer sicherer. Aber er hatte ja Zeit. Unter seinem Tarnanzug hatte er eine hübsche Proviantreserve, die er in weiser Voraussicht organisiert hatte, bevor sie losgezogen waren. Er konnte warten, und er war nicht gewillt, sich in unnötige Gefahr zu begeben, jetzt, kurz vor seinem Ziel, am wenigsten.
Mitten in diese Überlegungen stießen aus der Ebene eins – zwei – drei grüne Leuchtkugeln in die Luft und verzauberten den Nachthimmel zu einem riesigen, grünlichen Gewölbe, unter dem die Gesichter der Soldaten eine fahle, grünliche Leichenfarbe annahmen.
Im gleichen Augenblick kam Bewegung in die Stahlkolosse, als wären sie Ameisen, die durch einen Fußtritt aufgescheucht wurden. Ein Heulen und Donnern schwoll
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