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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Augen den Zauber und das Geheimnis östlicher Weiten. Sie trug eine wollene Bluse, eng über die runden Brüste gespannt, und dicke gesteppte Hosen, die in weichen Juchtenlederstiefeln steckten.
    Oberleutnant Denkow hatte sie schon eine Weile angesehen.
    »Du bist schön, Tanjuschka …«
    »Lies die Papiere, Serjoscha.« Sie blies mit gespitzten Lippen in das Feuer des gemauerten Herdes und hörte auf das Summen des Wassers im Kessel. »Ich koche dir einen starken Tee.« Sie sah vom Feuer hoch, ihr Gesicht war von den Flammen gerötet. »Wann mußt du wieder gehen?«
    »In zwei Stunden.« Denkow legte die schmalen Hände auf die Papiere. »Woher hast du sie?«
    »Von der Kommandantur. Ich wurde – als Putzfrau angestellt. Ein Feldwebel wollte mich auf sein Zimmer nehmen. Er ging, Wein und Schnaps zu holen. Er blieb lange weg – und ich habe die Papiere abgeschrieben und hier verborgen.« Sie zeigte auf ihre Brust und lächelte. »Ich ging, bevor er kam. Sind die Papiere wertvoll?«
    »Das weiß ich noch nicht. Die neue Truppe heißt 999. Aber warum tragen sie die Nummer nicht wie die anderen auf den Schulterstücken? Sie haben gar keine Schulterstücke. Merkwürdig …« Er erhob sich und trat zu Tanja. »Du mußt es erfahren, Mädchen. Aber ohne Feldwebel!«
    »Bleibst du heute nacht hier, Serjoscha?« fragte sie leise.
    »Es geht nicht. Sie warten im Wald auf mich.«
    Noch eine Stunde, und er würde durch die deutschen Nachschubstellen gehen. Ein armer, zerlumpter Bauer, der durch den Schnee zu seiner Hütte stapft, die irgendwo in der weiten Unendlichkeit lag. Der deutsche Posten am Dnjepr, an der Holzbrücke, über die er gehen mußte, würde ihn anhalten: »Halt! Wohin, du krummer Hund?« Und er würde demütig sagen: »Damoi, Brüderchen, damoi …« Nach Hause. Der Posten würde nicken und ihn über die Brücke lassen – wie immer. Er war irgendein einfältiger Bauer im alten Schafspelz und mit einer hohen Fellmütze. Hinter Orscha stand ein Schlitten. Fedja wartete dort mit zwei Pferden. Sie würden über die Schneefelder fliegen wie Schemen, vorbei an Babinitschi, in einem Bogen um Gorki. Das Land ist weit … Die Deutschen konnten nicht überall sein. Und dann kam der Wald, die dunkle Wand, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte. ›Heimat der Wölfe‹ nannten ihn die Bauern von Gorki und Bolschie Scharipy. Jetzt wohnten darin Menschen – die Wölfe Stalins, die zweite Partisanenkompanie unter Oberleutnant Sergej Petrowitsch Denkow. Tanja bewegte sich. Er erwachte aus seinen Gedanken.
    »Der Tee«, sagte sie leise.
    Sie goß eine Kanne voll. Der Samowar stand in der Ecke, es dauerte zu lange, ihn in Betrieb zu setzten. Tanja saß neben ihm und sah ihm zu, wie er aus einer Untertasse den heißen, grünlichen Tee schlürfte.
    »Sie wollen mich als Dolmetscherin haben, weil ich ein bißchen Deutsch kann«, sagte sie. »Soll ich, Serjoscha?«
    Oberleutnant Sergej nickte mehrmals. »Natürlich! Um so mehr wirst du erfahren!«
    »Wirst du dann öfter kommen?«
    »Vielleicht …« Er sah in ihre großen schwarzen Augen. Ihr schmales Gesicht schwamm in der Dämmerung des Raumes. »Du bist schön«, sagte er, »du wirst dich vor ihnen wehren müssen …«
    »Ich hasse sie, Serjoscha!«
    »Aber sie hassen dich nicht …«
    »Sie werden es nie erreichen, nie!«
    Sie blickte gegen den Ofen. Sergej verfolgte ihren Blick. Hinter dem Kamin, in einer Wandvertiefung, lag eine geladene und entsicherte russische Armeepistole.
    »In einem halben Jahr haben wir Witebsk und Orscha zurückerobert«, sagte Sergej. Seine Stimme war heiser vor Erregung. »Dann werden wir heiraten, Tanjuschka. Nur noch ein halbes Jahr … Wir werden es durchhalten!«
    Sie nickte tapfer, wischte sich über die großen Augen und lächelte ihn an.
    »Du gehst jetzt?«
    »Ja.« Er küßte sie. Ihre Lippen waren kalt.
    »Gott schütze dich!« flüsterte sie.
    Er verließ schnell das Haus und rannte durch die Dunkelheit über den Hof. Gott, dachte er, wie kommt sie auf Gott? Er nahm sich vor, den Satz zu vergessen. Er war ein Bolschewik, und er kannte keinen Gott und wollte keinen kennen. Sein Gott war die Partei, war Rußland und der abgrundtiefe Haß gegen die deutschen Eindringlinge. Ihnen lebte er, sie waren allgegenwärtig und übermächtig, weit mächtiger als dieser merkwürdige Gott alter Leute …
    Hauptmann Barth meldete sich bei dem Stadtkommandanten von Orscha. Der alte Major, Reservist, der sich in der russischen Einsamkeit völlig

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