Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
aber sah sie, daß ihre gemeinsamen ›Freunde‹ anders dachten. Das erfüllte sie mit Bitterkeit und Trauer.
    Dr. Kukill hatte sie lange bestürmt, mit ihm auszugehen. »Sie müssen mal was anderes sehen, gnädige Frau«, hatte er am Telefon immer wieder gesagt. »Sie dürfen nicht immerzu in Ihren vier Wänden bleiben – und Sie dürfen nicht immerzu an Sachen denken, die Sie doch nicht ändern können. Sie gehen dabei zugrunde, glauben Sie mir!«
    Schließlich hatte sie eingewilligt. Sicher war Dr. Kukill der letzte, mit dem sie sonst ausgehen würde, ›um ihren vier Wänden zu entfliehen‹. Aber sie sagte sich, daß sie in diesem Falle ihre Feindschaft und ihre Antipathie beiseite schieben mußte: Er war der Mann, der trotz allem eine Revision des Verfahrens und damit Ernsts Rehabilitierung erreichen konnte. Sonst niemand. Und deswegen durfte sie ihn nicht vor den Kopf stoßen – nicht allzusehr. Aber wie weit sollte sie gehen? Seine Nähe war ihr von allem Anfang an widerlich gewesen, er erfüllte sie mit einem Gefühl körperlichen Unbehagens. Allerdings überraschte sie sich dabei, daß sie in der letzten Zeit seine Anrufe fast erwartete. Nicht, daß sich in ihrer Einstellung ihm gegenüber etwas verändert hätte. Im Gegenteil, zu dem Widerwillen gesellte sich auch Furcht, denn sie sah, daß ihr Dr. Kukill keineswegs aus selbstloser Sympathie helfen wollte. Er begehrte sie. Sie war zu sehr Frau, um das nicht zu sehen. Und irgendwann mußte der Augenblick kommen, wo er ihr das sagen würde …
    Vor einem unscheinbaren Haus in einer Seitenstraße zum Kurfürstendamm parkte Dr. Kukill den Wagen. Über die Gehsteige hasteten abgehärmte, farblose, vermummte Gestalten. Berlin nach vier Jahren Krieg. Es schien, als hätte es die lebensfrohe, lichtüberflutete, heitere und leichtsinnige Stadt, wie sie noch kurz vor dem Krieg war, nie gegeben.
    Die Garderobiere schien Dr. Kukill zu kennen. Sie war sehr dienstbeflissen und freundlich, eine Eigenschaft, die man zu dieser Zeit immer seltener traf. Und genauso war es mit dem alten Kellner, der sie im ersten trüberleuchteten Raum in Empfang nahm, durch die Hintertür und durch einen langen Gang in den Hinterraum begleitete, der anscheinend nur für die Freunde des Hauses reserviert war.
    Der Raum war nicht groß, weich beleuchtet, an den Wänden hingen farbenfrohe Teppiche, die Tische waren klein, meistens für zwei Personen, mit schneeweißen Tischtüchern bedeckt. Und es gab sogar Servietten.
    »Zuerst wollen wir etwas für unseren Appetit tun«, sagte Dr. Kukill aufgeräumt und nickte dem Kellner zu, der sie hier bedienen sollte. Der brachte, ohne zu fragen, zwei bauchige Gläser, angefüllt mit goldgelbem Sliwowitz, als wüßte er genau, was Dr. Kukill wünschte.
    »Das ist kein Schnaps, gnädige Frau, jedenfalls kein gewöhnlicher Schnaps«, plauderte Kukill, während er sein Glas langsam an seiner Nase vorbeiführte. »Es scheint, daß die Balkanbauern, die den Schnaps brennen, auf irgendeine Art die Sonne und den Geruch nach warmer Erde, Gras und Zwetschgen auffangen und konservieren können. Wie machen sie das wohl?« Sein Gesicht hatte die Strenge und die verkniffene Schärfe verloren. Er war gelöst und schien glücklich. Kein Wort über Ernst oder über Julias Arbeit, über ihr selbstmörderisches Unterfangen, das Experiment ihres Mannes zu wiederholen und es vielleicht mit einem Selbstversuch abzuschließen, war bisher gefallen. Aber Julia wußte, daß Kukill alles, was in seiner Macht stand, tun würde, um es zu vereiteln. Sie wußte es, und sie dachte daran, daß dieser Mann vor nichts zurückschrecken würde, um das zu erreichen, was er wollte. Sie mußte sich beeilen. Wer weiß, wozu er imstande war. Sie mußte sich beeilen – und sie saß hier, ihm gegenüber und hörte das Geschwätz über Sliwowitz und über die Fähigkeit der Bosniaken, die Sonne – und was sagte er noch? – in diesen Schnaps einzufangen.
    Sie gab sich Mühe, ihre Ungeduld zu verbergen, aber er merkte es wohl. Insgeheim lächelte er.
    Ich habe sie soweit, daß sie hier sitzt und mit mir Schnaps trinkt, dachte er. Ich hab' sie soweit, daß sie in mir nicht mehr das Untier sieht, das sie noch vor einigen Tagen gesehen hatte. Ich werde sie noch weiter bringen. Ich werde ihr diesen verdammten Deutschmann ausreden. Sie ist schön. Trotzdem sie mager geworden ist, aber vielleicht ist sie deswegen noch schöner weil ihr Gesicht und ihr Lächeln traurig sind. Ich werde … dachte er,

Weitere Kostenlose Bücher