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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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du bist mein Gast – ich habe Fleisch und Brot.«
    Deutschmann nickte, unfähig zu sprechen. Er ging wie durch einen Traum und fürchtete zu erwachen. Tanja trat einen kleinen, schnellen Schritt gegen ihn und strich mit den Fingerspitzen über sein Gesicht. Er nahm ihre Hand und küßte sie. Die Hand war klein, schmal und paßte nicht hierher in diese halbverfallene Hütte, genausowenig wie das ganze Mädchen nicht hierher paßte. Aber er fragte nicht danach. Er lebte in einem Wunder. Das Mädchen war ein Wunder, und ihre Hand war eines und ihre Finger, die jetzt über seine Lippen strichen.
    »Wie heißt du?« fragte sie.
    »Deutschmann …«
    »Oh – kein schöner Name. Ein böser Name. Ich werde ihn vergessen. Du bist Michael, der große, strahlende Held Michael …«
    »Ja …«, sagte er zitternd. Eine Schwäche durchzog ihn, gegen die er sich umsonst wehrte, ihr Zauber umfing ihn, und er wußte, daß er die Schwäche und den Zauber nie besiegen würde.
    »Du bist schön«, flüsterte er, »du bist schön, du bist wunderschön …«
    Deutschmann aß Fleisch und Brot, die Eier und die Butter. Tanja bediente ihn; sie stand am Herd und briet die Eier in einer großen, kupfernen Pfanne. Draußen zog der Abend über den Dnjepr. Das Eis krachte gegen die Brückenpfeiler. Dumpfe Sprengungen der Pioniere rollten durch die Dämmerung.
    Tanja saß neben Deutschmann und starrte hinaus durch das Fenster und über den Fluß. Er hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt. Sie schmiegte sich an ihn, als suchte sie Schutz bei diesem großen, fremden, seltsamen Mann, der so ganz anders war als Sergej und die anderen Männer, die sie bis dahin kennengelernt hatte, so verschieden von den deutschen Soldaten, die sie täglich sah. Ihren Kopf mit den glatten schwarzen Haaren hatte sie an seine Wange gelegt.
    »Ich muß gehen«, sagte er endlich. Seine Stimme zerriß die zauberhafte Stille. Sie nickte und hob das Gesicht empor.
    »Küß mich«, sagte sie kaum hörbar.
    Er tat es. Ihre Lippen waren weich und kühl.
    »Tanja …«, flüsterte er und immer wieder: »Tanja – Tanja …« Was war mit ihm geschehen? Wie war das möglich? Er saß hier, mitten in Rußland, und hielt einen warmen, anschmiegsamen und leicht zitternden Mädchenkörper in den Armen und sank in eine weiche, zärtliche, dämmernde Stille, in der es nur noch ihn und sie gab.
    Von der Brücke herüber tasteten Scheinwerfer den Dnjepr ab. Eine Autokolonne rumpelte mit aufheulenden Motoren über die Holzbohlen. Er mußte gehen. Er mußte sich losreißen von ihr. Es ging nicht. Julia …
    Deutschmann stand mit einem Ruck auf.
    »Leb wohl«, sagte er heiser.
    »Auf Wiedersehen, Michael …«
    Ihre Augen begleiteten ihn, bis er in der Dämmerung verschwand. Sie waren ängstlich und traurig.
    Der Motorschlitten wartete schon auf ihn. Wortlos hockte er sich neben den schimpfenden Unteroffizier auf den unbequemen Sitz. Er hörte kaum, was der andere sagte. Er starrte in die Schneenacht, sein Blick war leer, abwesend. Er fror nicht in der klirrenden Kälte, er spürte nicht die Stöße des ungefederten Fahrzeugs. Er dachte an Tanja und an Julia und wieder an Tanja …
    Zwischen Gorki und Babinitschi überholten sie einen alten, wackeligen Bauernschlitten. Das kleine, struppige Pferdchen vorne zockelte durch den Schnee als kenne es nichts anderes: Schneesturm und Einsamkeit.
    Vergnügt und höflich winkte Sergej Denkow dem Motorschlitten zu.
    Aber auch ihn bemerkte Deutschmann kaum. Er sah die Augen Tanjas und hörte ihre weiche, singende Stimme. Sang der Südwind so, wenn er über die Wolga strich?
    Oberleutnant Obermeier las die Befehle und Verordnungen, die Deutschmann aus Orscha mitgebracht hatte. Er las sie zum zweiten und zum dritten Male, ehe er ans Telefon ging und sich über die 1. Kompanie nach Orscha mit dem Bataillon verbinden ließ. Vorher jedoch warf er Oberfeldwebel Krüll aus dem Zimmer: »Sehen Sie mal zu, was die Feldküche zusammenbraut. Und kommen Sie vor einer halben Stunde nicht wieder.«
    Zutiefst beleidigt verließ Krüll die ›Schreibstube‹.
    Die Verbindung zu Hauptmann Barth kam schnell.
    »Grüß Gott, Obermeier«, sagte Barths Stimme freundlich. »Was gibt's?«
    Obermeier räusperte sich. Er wußte nicht, ob Barth wirklich freundlich war oder nur so tat. Bei Barth wußte man es nie genau.
    »Ich habe soeben die Befehle bekommen, Herr Hauptmann«, sagte er. Die Papiere in seiner Hand zitterten.
    »Ist ja fein. Freuen Sie sich?«
    »Freuen –

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