Strafbataillon 999
zusammen.
Tartuchin und Sergej lagen tief im Schnee eingewühlt. Über sie hinweg, zentimeterhoch nur, pfiffen Schwaneckes Maschinengewehrgarben. Der Mongole kniff die schrägen Augen zusammen.
»Er ist es wieder, ich weiß es!« sagte er heiser vor Haß. »Ich weiß es ganz genau, so kann nur er schießen!« Über ihn hinweg surrten die Geschosse, brachen die Zweige ab und schüttelten Eissplitter über seinen Körper.
»Nichts!« sagte Bortke. »Ich hab's ja gesagt, sie sind weg.« Er erhob sich und streckte die Hand empor. »Alles sammeln! Auf die Schlitten!«
Dunkle Gestalten stiegen aus dem Schnee und rannten zu den Schlitten. Gleich darauf zerriß das Knattern der Motoren die Nacht. Kentrop und Schwanecke gingen die wenigen Meter zur Sprengstelle zurück. Schwanecke das MG um den Hals gehängt, bereit, aus der Hüfte heraus zu schießen. Sie standen an dem Sprengtrichter, der über die ganze Straßenbreite ein gähnendes schwarzes Loch aufgerissen hatte.
»Das hätte genügt!« Kentrop wandte sich ab. »Noch mal Schwein gehabt!«
Tartuchin starrte auf den Mann mit dem MG. Durch seinen gedrungenen, breitschultrigen Körper flog ein Zittern. Sergej spürte es und legte ihm die Hand auf die Schulter: »Ruhig – bleib ruhig!«
»Das ist er, Starschi Leitenant!«
»Wir werden ihn bekommen, Pjotr, darauf kannst du Gift nehmen!«
Sie sahen, wie die Schlitten anfuhren. Dann verebbte der Lärm der Motoren in der Ferne.
»Ich gehe zurück nach Orscha«, sagte Oberleutnant Sergej. »Sage den Genossen im Wald, daß sie sich ausruhen sollen. In drei Tagen komme ich zurück mit neuen Befehlen. Ich werde mit dem Genossen General sprechen.«
»Und wo erreicht man dich inzwischen?«
»Bei Tanja.«
Tartuchin grinste und schmatzte mit dem Mund. Sergej sah ihn wütend an, sagte aber nichts. Er kroch aus dem Busch, reckte sich in der eisigen Kälte und schlug die Arme um den Körper, um sich zu erwärmen.
Über dem Wald dämmerte es: fahlgrau, schneeverhangen, nur eine leichte Verfärbung des nächtlichen Himmels. Der Morgen.
Sergej ging über die Straße. Neben dem großen Minentrichter blieb er einen Augenblick stehen, sah hinein und zuckte mit den Schultern. »Nitsche wo! Ein anderes Mal!« Dann lief er weiter gegen Babinitschi.
Ein kleiner Panjeschlitten zockelte über die Ebene. Fedja – der Sergeant Fedja, der einen armen Bauern spielte, winkte ihm zu.
»Nichts Neues?« Sergej stieg in den Schlitten.
»Njet, Starschi Leitenant.«
»Nach Orscha. Fahre um Babinitschi herum.«
Den Dnjepr erreichten sie, ohne einen deutschen Soldaten zusehen. Sergej lächelte still. »Die Weite ist ihr Tod«, sagte er langsam. »Wie kann ein Schiff, das über ein Meer fährt, glauben, das Meer gehöre ihm?«
In Babinitschi glaubte Oberleutnant Wernher seinen Augen nicht zu trauen, als Fritz Bevern unerwartet bei ihm auftauchte und wie die Erscheinung aus einer anderen Welt in seine Unterkunft stapfte. Wernher lag im Bett.
»Guten Morgen, Herr Wernher!« sagte Bevern und grüßte stramm. Wernher sah auf die Armbanduhr und stellte fest, daß es 4 Uhr morgens war. »Grüß' Sie!« sagte er mißmutig und dachte, daß den verdammten Schnüffler der Teufel holen sollte. Was suchte er hier mitten in der Nacht? Wernher schlüpfte in seinen Uniformrock und strich sich mit beiden Händen über das Haar.
»Ich bin dienstlich hier. In Vertretung des Kommandeurs. Ich wollte Ihren Abschnitt inspizieren«, sagte Bevern steif.
»Bitte.« Wernher erhob sich. »Sie suchen sich genau den richtigen Morgen aus … Bis um ein Uhr hatten wir drei Tote und sieben Verwundete. Wie viele es jetzt sind, weiß ich noch nicht.«
»Partisanen?«
»Nein, diesmal nicht. Wenn es Partisanen gewesen wären, würde ich kaum …« Wernher sah grinsend zu seinem Bett hinüber, hob die Teetasse und blies in die dampfende Flüssigkeit. »Diesmal waren es reguläre Truppen. Meine Leute schanzen und bauen auf einer Breite von zwölf Kilometern, bei Feindeinsicht. Ab und zu wird dieses Gewimmel den Rußkis zu bunt, und sie ballern ein paarmal herüber. Um sich gewissermaßen in Erinnerung zu bringen: Bitte vergeßt nicht, daß wir auch noch da sind!«
»Unangenehm.« Oberleutnant Bevern blieb sitzen und sah sich um. »Haben Sie keine Karte? Sie müssen doch eine Karte Ihrer Strecke haben!«
»Aber ja, natürlich habe ich eine. Doch wozu brauchen wir eine Karte? Gehen wir doch hinaus und sehen uns den ganzen Kram selbst an. Es wird gleich hell sein – das
Weitere Kostenlose Bücher