Strandwoelfe
Dilemma des Obersten. Ein etwas nebelhafter Plan, Schmuggler zu fangen, stand gegen seine strikte Order, einen wertvollen Goldtransport zu begleiten; da hatte er nicht lange überlegen dürfen. Außerdem hatte er erwartet, daß Hugh das Unternehmen abblasen würde, sobald er diese Änderung erfuhr.
Unwillig stieß Bolitho hervor: »Aber was unternehmen sie zur Befreiung Martyns?«
Seine Mutter stand hinter ihm und fuhr ihm streichelnd übers Haar.
»Alles, was in ihrer Macht liegt, Richard. Der arme Junge – auch ich denke ständig an ihn.«
Die Tür der Bibliothek öffnete sich, und die drei Männer traten ins Zimmer.
Was für ein seltsames, zusammengewürfeltes Trio, dachte Bolitho. Sein Bruder – schmallippig, verschlossen, schäbig in seiner Borduniform -, Vyvyan wuchtig, grimmig, mit der gewaltigen Narbe, die den Eindruck von Willenskraft noch verstärkte, und der Dragoneroberst: adrett, elegant wie ein Angehöriger der Leibwache des Königs. Es war kaum zu glauben, daß er ohne Pause so viele Meilen geritten war.
Harriet Bolitho hob den Kopf. »Nun, Sir Henry, was halten Sie von der Angelegenheit?«
Vyvyan rieb sich das Kinn. »Ich denke, Madam, daß diese Teufel den jungen Dancer als Geisel mitgenommen haben; weshalb, kann ich allerdings nicht sagen. Es sieht schlecht aus, darüber müssen wir uns klar sein.«
De Crespigny meinte: »Wenn ich mehr Leute hätte, wenigstens zwei weitere berittene Abteilungen, könnte ich vielleicht etwas unternehmen, aber so…« Er beendete den Satz nicht.
Bolitho beobachtete sie müde und enttäuscht. Jeder von ihnen dachte nur an sich selbst, versuchte, sich aus der Sache herauszuhalten, die Schuld einem anderen zuzuschieben, jetzt, da die Behörden erfuhren, was sich ereignet hatte. Er blickte seinen Bruder an. Es bestand wohl kein Zweifel daran, wer diesmal seinen Kopf hinhalten mußte.
Nancy flüsterte: »Ich werde für ihn beten, Dick.«
Er blickte sie an und lächelte. Sie hielt Martyns Hut ans Feuer, um ihn zu trocknen, behandelte ihn wie einen Talisman.
Vyvyan fuhr fort: »Wir dürfen diese Niederlage nicht hinnehmen. Müssen uns etwas einfallen lassen.«
Man hörte Stimmen in der Halle, und einen Augenblick später steckte Mrs. Tremayne den Kopf ins Zimmer. Hinter ihr sah Bolitho des Jagdaufsehers gewaltige Gestalt aufragen.
»Was gibt es, Pendrith?« fragte Mrs. Bolitho.
Pendrith trat ein, einen Geruch nach Erde und Feuchtigkeit verbreitend. Er nickte den Anwesenden zu und sagte dann mit seiner rauhen Stimme zu Mrs. Bolitho: »Einer von des Colonels Leuten wartet mit einer Botschaft draußen, Madam.« Während der Oberst sich entschuldigte und eilig hinausging, fügte Pendrith rasch hinzu: »Und ich bringe das hier, Sir.« Er hielt Vyvyan ein Papier entgegen.
Dessen eines Auge überflog die ungelenke Handschrift und rief aus: »A n alle , di e e s angeht … Was, zum Teufel, soll das?« Das Auge bewegte sich rascher, und dann sagte er: »Es ist eine Forderung, wie ich mir schon dachte. Sie halten den jungen Dancer als Geisel fest.«
Bolitho fragte rasch: »Was fordern sie?« Sein Herz hämmerte fast schmerzhaft, und er konnte kaum atmen.
Vyvyan überreichte Mrs. Bolitho den Brief und sagte bedrückt: »Dieser eine Strandräuber, den meine Leute gefangen haben – gegen ihn wollen sie Dancer austauschen. Sonst…« Er blickte weg.
Hugh Bolitho starrte ihn an. »Selbst wenn wir austauschen dürften…« Er kam nicht weiter.
Vyvyan fuhr herum, sein Schatten füllte fast den ganzen Raum.
» Dürften ? Was sagen Sie da, Mann? Hier steht ein Menschenleben auf dem Spiel! Wenn wir diesen Schurken hängen, bringen sie den jungen Dancer um, das steht fest. Vielleicht tun sie es ohnehin. Aber ich glaube, sie werden Wort halten. Vor einem Offizier des Königs haben sie doch etwas mehr Scheu als vor einem Zöllner.«
Hugh Bolitho begegnete Sir Henrys Blick mit Unmut. »Es geschah in Ausübung seines Dienstes.«
Vyvyan trat ein paar Schritte vom Feuer zurück und stieß ungeduldig und resigniert hervor: »Fassen Sie es so auf, wenn Sie wollen. Aber wir kennen des Strandräubers Identität jetzt und werden ihn wieder zu fassen kriegen. Dem Henker entgeht er bestimmt nicht. Doch Dancers Leben ist wertvoll für seine Familie, für sein Land.« Sein Ton wurde härter. »Außerdem wird es besser aussehen.«
»Was meinen Sie damit, Sir?« Hugh war blaß und wirkte müde, zeigte aber keinerlei Spur von Schwäche.
»Ich will es Ihnen erklären. Wie wird es
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