Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
Doch er ging weiter, schleppte mich hinein, und die Tür fiel hinter uns zu. Dichter seidiger Dampf waberte um uns, und ich hustete aufs Neue los.
»Verflucht!«, murmelte Graves und hievte mich über den Fliesenboden. Das Wort prallte vom Wasserdampf um uns herum ab. »Was zur Hölle ist los?«
»Ich …« Ich wollte sagen, dass ich es nicht wusste, gab es jedoch gleich wieder auf. Er blickte zu mir hinunter, sein Gesicht blässlich und streng im dampftrüben Licht. Wenn er einen so ernst und entschlossen ansah, konnte man deutlich erkennen, wie sensationell er einmal aussehen würde. Die Mädchen dürften sämtlichst auf ihn fliegen, vor allem in größeren Städten, wo man nicht viel von Durchschnittstypen hielt. Eine beschämende, namenlose Hitze durchfuhr mich.
»Soll ich dir mit deinen Sachen helfen?« Die Decke fiel in einem Rutsch herunter, und Graves streifte seinen Mantel ab, wobei er fast den einen Ärmel abriss, den er nicht richtig zu packen bekam, weil er mich weiter aufrecht hielt. »Oder, ähm, soll ich an der Tür warten, für alle Fälle?«
»H-h-h-h-hilf. M-m-mir.« Das Bibbern machte es schwierig, zu denken oder zu atmen. Mit kalten geschwollenen Fingern griff ich nach meinem Pulloversaum. Graves zog ihn mir aus. Für einen Moment war ich in der nassen Wollmasse gefangen, ehe sie mit einem schweren Platschen auf dem Boden landete und ich mich fragte, in wie viel Wasser ich auf dem Waldboden gelegen hatte. Mich wunderte, dass nichts gefroren war, wo doch alles sonst vereist gewesen war.
Die Dampfschwaden in der Luft waren weiß und schwer, aber auch daran wollte ich nicht denken.
Die ganze Welt wurde für eine Minute gleißend hell und in der nächsten hielt Graves mich nach oben, während er mir umständlich die Ärmel des Flanellhemds über die Gänsehaut zog. Ich kämpfte mich aus meinem T-Shirt und schwankte. Meine Zähne klapperten wie Kastagnetten. Graves machte sich an meiner Jeans zu schaffen; dabei blickte er starr über meine Schulter. Mein BH war gleichfalls durchnässt, aber zum Glück nicht schmutzig.
Meine Finger fühlten sich wie nasse Würstchen an, zu unbeweglich, um viel auszurichten. Die Jeans war lose. Graves stieß einen leisen Pfiff aus, als er die Blutergüsse an meinen Schultern, Rippen, Armen und seitlich an meinem rechten Bein sah. Meine Socken waren verdreckt. Irgendwo hatte ich einen Turnschuh verloren, aber ich erinnerte mich partout nicht mehr, wo. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass er weg war.
Graves’ Hände waren brennend heiß. Er schleppte mich zum nächsten Wannenbecken, hielt eine halbe Sekunde lang inne und sah gen Decke, als müsste er sich sammeln. Dann schleuderte er seine abgewetzte schwarze Nylonbrieftasche einen guten Meter weiter auf den Boden und stieg vollständig bekleidet mit mir die Stufen hinunter in die große Wanne. Seine Schuhe quietschten einmal unglücklich unter Wasser, ehe ich den Halt verlor und elendigst aufschrie. Es fühlte sich an, als würde ich in glühende Lava getaucht, aber Graves hielt mich fest und führte mich tiefer.
Ich war noch nie in Unterwäsche im Bad gewesen, und es war seltsam – wie im Bikini, der definitiv nicht dafür gemacht war, in einer heißen Schüssel voll Wackelpudding zu hocken.
»Dru?« Zum ersten Mal heute Nacht klang Graves ängstlich. »Jetzt sag was!«
Das Zähneklappern hatte aufgehört, aber ich bibberte immer noch. Irgendwie war mein Arm um seine Taille gelegt, und er setzte sich neben mich. An der Wasseroberfläche bildeten sich platzende Bläschen um seinen Pulli herum. Ich schnappte nach Luft und lehnte den Kopf nach hinten. Meine Haut benahm sich wie nach einem heftigen Sonnenbrand. Blubberndes Nichtwasser verfärbte sich grau, und Schmutz wirbelte auf, der sogleich von der Strömung weggespült wurde. Ein Blatt fiel mir aus dem Haar, landete auf der brodelnden Oberfläche und wurde nach unten gezogen. Das Nichtwasser reichte mir bis zum Hals, Graves lediglich bis zur Brust.
»Dru?« Nun hörte er sich beinahe panisch an, und ich bemerkte, dass ich wieder diesen leisen Wimmerlaut ausstieß. Meine Kehle war von etwas verstopft, das zu heiß und eklig für Tränen war. »Sag was, verdammt!«
Ich schluckte das komische Jaulen hinunter und öffnete den Mund. »W-w-was … v-v-verd-d-dammt.«
Graves schnaubte sein typisches bitter-sarkastisches Kläfflachen, und ich war viel zu dankbar, dass ich noch lebte, um darüber nachzudenken, dass ich halb nackt mit einem Jungen in der
Weitere Kostenlose Bücher