Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
und er würde ersticken.
Dru, was machst du denn?
Immer noch kochte Wut in mir. Er hatte Graves geschlagen, ihm weh getan.
Aber ich erwog ernsthaft einen Hieb, der jemanden schwer verletzen, gar töten konnte. Und das hier war nichts als eine Schulrangelei. So wie all die anderen Prügeleien in Klassenzimmern, aus denen ich mich immer herausgehalten hatte – in der normalen Welt und hier.
Nun ja, hier vielleicht nicht so konsequent.
Was ist wirklich los? Wieso greifen die Lehrer nicht häufiger ein? Die Antwort folgte einen Sekundenbruchteil später: Sie bringen ihnen bei zu kämpfen. Sie lehren sie, sich gegenseitig zu hassen.
Mein Zorn war ungemindert und meine Selbstbeherrschung zu einem hauchdünnen Faden über einem Abgrund gespannt. Jeden Moment würde alles in das normale Tempo zurückschnappen. Das fühlte ich, wie man ein drohendes Niesen spürt.
Eine Hand schloss sich um meine Schulter, und wenn ich zuschlagen wollte, musste ich es jetzt tun. Meine Faust schwang wenige Zentimeter vor und wieder zurück, als der Wolf sich regte. Sein Mund stand halb offen. Blut quoll aus seiner Nase.
Ich ließ ihn los. Meine Finger verkrampften sich, während jemand mich so grob wegzog, dass ich schon merkte, wie sich Blutergüsse an meiner Schulter bildeten. Mann, ich kam mir vor wie ein alter, beulig geprügelter Sandsack!
Die Zeit fluppte wieder zurück, gleich einem dicken Gummiband, und diesmal spürte ich das Vibrieren bis in die Knochen. Ich wurde eben wieder in die Welt fallen gelassen, und der Aufprall stand dem eines Wagens, der in eine Mauer krachte, in nichts nach. Alle schrien und riefen durcheinander, während ich stumm dastand. Mein Haar hing mir ins Gesicht.
Wie hypnotisiert beobachtete ich, wie blonde Streifen durch meine krausen Locken glitten, die sich gleichzeitig streckten und zu weicheren Wellen wurden. Die goldenen Strähnen verschwanden in der dunkleren Grundfarbe, und mein Haar war wieder wie immer.
Ach du Schande! War das …
»Zurück!«, brüllte Graves, der mich weiter nach hinten zog, als die Wölfe sich um den reglosen Shanks scharten, der vor einer Couch auf dem Boden lag. Sein Blut war rot und beängstigend. Mehrere Wölfe hatten sich in meine Richtung gewandt und kamen auf mich zu. Dabei spross Fell auf ihrer Haut, und ihre Schultern sowie die Beine wurden kräftiger. »Ich warne euch! «, schrie Graves dröhnend, so dass sein ganzer Leib erbebte. Seine Stimme ging mir durch und durch. So hatte ich ihn noch nie erlebt.
Und diese Stimme hatte etwas Abgehacktes. Ein Schnappen. Ich konnte fast sehen, wie sie die Wölfe zurückdrängte. Dominant, ging mir durch den Kopf. So klang die Befehlsstimme eines Loup-garou.
Die Wölfe blieben stehen und knurrten. Sogar der blasse sanftmütige Dibs, der sonst nur schüchtern flüsterte. Ihre Gesichter kräuselten sich, die Zähne wurden länger, während ihnen Fell auf den schlaksigen Körpern wuchs.
Graves zog mich noch weiter nach hinten. »Bleibt, wo ihr seid!«, donnerte er mit der eindrucksvollen Stimme, die tatsächlich alles erzittern ließ, einschließlich meines Schädelinneren.
Dann erst bemerkte ich, dass ich einen komischen Laut von mir gab, ein hohes Jaulen mit seltsamen Synkopen, wenn meine Luftröhre zuging und ich atmen musste. Der Geruch traf mich – kupfern, heiß und gut. Er prallte ganz hinten in meinem Hals auf, wo ich eine Stelle spürte, von deren Existenz ich gar nichts gewusst hatte, gleich neben dem Flecken, den normale Leute nicht besaßen. Dieselbe Stelle, die mich vorwarnte, ehe etwas Schräges passierte. Der rote Kupfergeruch drang tiefer und zerriss die Welt. Ich stürzte mich nach vorn, wehrte mich gegen Graves’ Hände, die mich festhielten, aber irgendwie hatte er seinen Arm um meine Taille geschlungen und zerrte mich weg. Wieder warf ich mich nach vorn, hätte Graves beinahe umgerissen. Jetzt begriff ich, was ich wollte.
Ich wollte die anderen aus dem Weg dreschen und zu dem Werwolf mit der Halswunde.
Ich wollte trinken.
Unerträglicher Durst schnürte mir die Kehle zu, breitete sich von dort in meinem ganzen Körper aus. Ich war ausgetrocknet, drohte zu zerbrechen, zu verbrennen, und das Einzige, was dieses Feuer löschen konnte, war die süße rote Flüssigkeit, deren Geruch mich vollständig beherrschte. Er tropfte in meinem Kopf, wisperte mir ermunternd zu, und meine Zähne taten empfindlich weh. Ich fühlte fast, wie sie sich verlängerten und der Schmelz kribbelte. Mein Haar kribbelte
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