Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)

trat ein. Staubflocken tanzten im schwindenden Sonnenlicht und fielen in einer trägen Spiralbewegung zu Boden. »Bei dir.«
    Ich starrte die schwebenden Staubflusen an, wie sie sich zu einer Musik wiegten, die keiner hörte. Irgendwo hatte ich einmal gelesen, dass Staub sogar aus Überresten eines explodierenden Sterns weit weg bestehen könnte, die auf die Erde fielen. Wie weit flog so ein bisschen Sternenstaub eigentlich, bevor er aufgab und sich kurz mal in den Orbit eines anderen Planeten saugen ließ?
    War das überhaupt wichtig?
    Die Sonne glitschte unter den Rand am Horizont, und die Schola stieß einen Seufzer aus, mit dem sich das Gemäuer zur Ruhe setzte.
    »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.« Die Worte kamen halb erstickt und starben in der Stille der Bibliothek. Ich erwartete beinahe, dass ein Riss durch die Welt ging und der Himmel herniederfiel, weil ich das gesagt hatte.
    »Keiner tut das, Dru«, entgegnete er in demselben komisch erwachsenen Tonfall, in dem er an jenem ersten Abend gesprochen hatte, als er mir gegenübersaß und mich fragte, wie mies alles wirklich wäre und ob ich einen Platz zum Schlafen brauchte. »Man nennt das Erwachsenwerden.«
    Das Gewirbel in mir wurde etwas langsamer. Ich konnte endlich die Arme von meinem Oberkörper wickeln und mir das Haar nach hinten schieben. Die Locken fühlten sich komisch an – nicht kraus, sondern seidig-klebrig. »Es tut mir leid.«
    »Ja, klar.« Wurde er rot? »Ich werde wohl nie darüber wegkommen, dass ein Mädchen Bobby den Arsch versohlt hat, um mich zu verteidigen. Oh Mann!«
    Da war eine strammgespannte Saite in mir, die nun ein wenig nachgab. Die Wut zog sich zurück, und ich hatte genügend Raum zum Atmen, also sog ich gleich eine volle Ladung ein. »Klar, also nächstes Mal lasse ich ihn mit dir Schlitten fahren. Zufrieden?«
    »Ja, na ja, ich wäre schon mit ihm klargekommen, aber trotzdem. Ach, egal. Willst du die eine Hälfte der Bücher übernehmen?«
    Die Welt schien wieder begreifbar. Wie machte er das? »Wozu?«
    »Wenn du dich so brennend dafür interessierst, wie man gebrochene Werwölfe rehabilitiert, wären die hier ein guter Anfang. Warst du denn noch nie in der Bibliothek?«
    »Ein oder zwei Mal.« Aber du hast recht. Das ist eine gute Idee. Dad sagte immer, Recherche ist das, was einen rettet.
    Ja, natürlich kam mir der finsterste Gedanke von allen in den Kopf marschiert und richtete sich dort häuslich ein. Ich sollte anfangen, Miete von solchen Gedanken zu verlangen. Nur, womit würden sie zahlen? Wahrscheinlich mit noch Schlimmerem.
    »Du bist öfter in den Kursen.« Er teilte den Bücherstapel in zwei gleich große Hälften, und nun war es offiziell: Er wurde rot. Die Farbflecken auf seinen hohen Wangenknochen waren so dunkel, dass sie fast schon als kastanienfarben durchgingen. Zudem spross ihm auf der einen Seite ein scheußlicher Bluterguss.
    Mein erster Eindruck von ihm war gewesen, dass er halb hässlich war, irgendwie unfertig aussah. Schwer zu glauben. »Tja, ich habe eben nichts anderes zu tun.« Ich zog den Stapel, den er mir hinschob, näher zu mir. »Macht dir das keine Angst? Ich meine, dass ich, ähm, sein Blut trinken wollte?«
    Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. Der Silberohrring fing einen verirrten Sonnenstrahl ein und zwinkerte mir zu. »Nee. Hättest du sowieso nicht. Du hättest dich rechtzeitig selbst gebremst.«
    Dessen war ich mir nicht so sicher und wollte es ihm gestehen.
    »Und außerdem«, fuhr er fort und blätterte mit dem Daumen die Seiten seines obersten dicken Lederbands durch, »ist es irgendwie sexy.« Ein Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln, das er nicht ganz unterdrücken konnte.
    Was?! Ich starrte ihn entgeistert an – mit heruntergefallener Kinnlade. »Du bist wahnsinnig! «
    »Und das von dir? Fang an zu lesen!«
    Ich bezweifelte zwar, dass ich mich konzentrieren könnte, schaffte es aber. Das gereizte Gefühl in meinem Mund ließ nach, und nach einer Weile konnte ich das Blut nicht mehr riechen. Einige Zeit später war ich tatsächlich imstande, die Seite vor mir zu lesen, ohne dass mir die Tränen kamen und alle Worte verschwammen. Ich tat, als würde ich mir Staub von den Wangen wischen, dabei verschmierte ich eigentlich warmes Salzwasser auf ihnen.
    Graves sagte nichts darüber, dass ich auslief. Allerdings blätterte er lange nicht in seinem Buch weiter. Als er zu seinem letzten Kurs in der Nacht gehen musste, brachte er mich vorher zu meinem Zimmer, beide Arme