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Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)

Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)

Titel: Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili St. Crow
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Hätte ich das getan, wäre ich nach hinten gekippt. Ruhig zu stehen hingegen erforderte eine dauernde Anpassung, eine Abfolge kleinster Korrekturen, so wie das Lenken eines Wagens.
    Das hatte ich von Dad gelernt.
    Der Gedanke durchfuhr mich wie ein Peitschenhieb, und jede Muskelfaser spannte sich an. Gleichzeitig hörte ich Flügelschläge, Federn streiften durch die Luft und raschelten an meinem Gesicht. Ich musste mich nicht allzu weit nach hinten lehnen. Es war beinahe, als würde ich mich aus einem Swimmingpool ziehen.
    Die Schieferränder bissen mir in die Handinnenflächen. Ich atmete pustend aus und hob ein Knie. Was für ein Glück, dass ich eine Jeans trug! Ich hangelte mich den Dachüberstand hinauf, beugte mich nach vorn und dankte Gott, dass ich meine Turnschuhe und keine Stiefel anhatte. Die Sohlen griffen, und meine Fingernägel rissen auf den Schieferplatten, als ich mich festkrallte.
    Oh, Mist! Die Dachschräge war unglaublich steil. Doch ich schaffte es bis zum Giebel und hockte mich rittlings hin. Die großen Muskeln in meinen Beinen zitterten. Meine Arme und die tiefen Blutergüsse an meiner Schulter pochten heftig. Überhaupt summte mein Körper vor Schmerz. Leider schienen die Heilkräfte der Bäder weniger wirksam, als ich gedacht hatte. Meine Handflächen und Fingerspitzen waren blutig gescheuert.
    Aber ich saß immerhin so, dass ich nicht hinunterfallen konnte, und wagte es, meinen Kopf zu heben. Wind klatschte mir ins Gesicht, erfüllt von dem besonderen Geruch in großer Höhe. Und ich konnte sehen.
    Heute gab es keinen Nebel.
    Nach allen Seiten erstreckte sich die Landschaft. Die Bäume standen dicht an dicht, außer dort, wo eine zweispurige Asphaltstraße durch den Wald schnitt. Es handelte sich um dieselbe Straße, über die ich hergekommen war. Dies war der höchste Punkt in einem großen Umkreis. In südlicher Richtung sah ich weit entfernt einen blauen Flecken, von dem ich dachte, dass dort die Alleghenies aufragen könnten, aber es mochte ebenso gut eine Nebelschwade oder eine Wolke sein.
    Unten am Hügel schlängelte sich der Fluss, der unter dem bedeckten Himmel mattsilbern glitzerte. Wolken flogen in Fetzen davon, und bald würden wir echten Sonnenschein bekommen. Ich sah das Bootshaus: einen verfallenen Schuppen, der nicht stabil genug wirkte, um eine Windböe auszuhalten. Die Schola, deren Flügel nach hinten gebogen waren wie die eines Raubvogels, kehrte ihm die kalte Schulter zu. Ein grauer Raubvogel mit scharfem Schnabel, der in seinem Nest döste.
    Ich konnte die große runde Einfahrt nicht ganz einsehen, sehr wohl aber die weinberankten Podeste an deren Ende. Blinzelnd rieb ich mir die Augen. Ich hätte schwören können, dass dort Steinlöwen gewesen waren …
    Nein, wisperte die Stimme meines Instinkts mir zu. Sie waren dort, sind es aber nicht mehr. Aus welchen Gründen auch immer.
    Plötzlich hatte ich klare Bilder vor Augen, die sich in meinem Geist abspielten wie ein Ohrwurm, der zwischen Ohr und Gehirn festsaß.
    Ein steingrauer Löwe, der auf breiten Pfoten lautlos über sonnenfleckigen Waldboden schleicht. Harte Muskeln unter glattgewetzter Haut. Der Löwe dreht seinen breiten Nacken, hebt den Kopf und sucht mit blinden Steinaugen, das Maul geöffnet. Nadelspitze, splittrige Zähne dicht an dicht, atmet er aus, dass die Blätter auf dem Waldboden rascheln. Er fühlt Blicke auf sich, und Verwirrung regt sich in seinem kalten massigen Schädel. Die Blicke stammen von einem Herrscher, der jedoch weit weg ist, und die Steinmähne lockt sich mit einem Reibegeräusch wie von nassem Lehm auf den Schultern …
    Die Bilder verblassten. Ich schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Schließlich musste ich meine Sinne beisammenhalten, denn das Dach fiel nach allen Seiten hin steil ab, und die Schieferziegel waren teils nass und glitschig. Sollte ich ausrutschen, würde ich schon ein ganzes Stück hinunterpurzeln, ehe ich über die Dachkante stürzte, und das wäre für niemanden witzig.
    Ich legte meine blutenden Hände vor der Brust zusammen und wünschte, ich hätte an Handschuhe gedacht. Doch mit denen hätte ich zu wenig Halt gefunden. Manchmal ließen sich Verletzungen eben nicht vermeiden.
    Und in letzter Zeit schien ich recht oft in solche Situationen zu geraten.
    Der Wind pfiff über die Giebel und in die Schluchten des Daches. Hier und da fehlten Schindeln, und einige waren eingefallen, aber insgesamt sah das Dach recht solide aus. Meine Hand zuckte,

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