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Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)

Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)

Titel: Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili St. Crow
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und ich hatte Mühe, nicht nach dem Medaillon zu greifen. Ich atmete langsam aus, diesmal vor Staunen. Mein Herz schlug ein, zwei Mal, ehe es sich in einen hohen festen Galopp einpendelte. Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass ich keine Angst hatte.
    Nein, tatsächlich empfand ich Freude. Sie schwoll im Takt meines Pulses an und brachte mich dazu, die Arme weit auszubreiten, während ein breites ungläubiges Grinsen auf mein Gesicht trat. Sicher wirkte ich total idiotisch, wie ich auf dem First hockte und meine Arme in Zirkusmanier ausstreckte. Aber hier, wo der Wind an mir vorbeiheulte und die Bäume sich an den grauen Klotz der Schola drängten, fühlte ich mich … nun ja, frei. Zum ersten Mal seit langem.
    Hier oben gab es nichts außer mir und dem Wind. Und einem Kribbeln in meinen Zähnen, das gewiss die Gabe war, die sich bemerkbar machte. Nur kam sie jetzt einem warmen wohligen Glühen gleich, das den Schmerz verscheuchte. Meine Hände hörten auf zu bluten, und als ich hinuntersah, stellte ich fest, dass die leiterartigen Schnitte verkrustet waren. Der Kupfergeruch meines eigenen Bluts wurde von der frischen Regenluft weggewaschen, aber ich glaubte, eine Note von warmem Parfum zu riechen. Als ich meine Hände vorsichtig ballte, taten sie kaum weh, und die Schnitte rissen nicht auf.
    Wow! Ich fragte mich, wieso nicht auch die Blutergüsse und Schmerzen in mir heilten. Immerhin waren sie momentan betäubt. Die Gabe kitzelte in mir, ehe sie sich mit einem Geräusch wie von flatternden Eulenflügeln davonmachte.
    Fühlt sich so das Blühen an? Hätte ich doch bloß jemanden fragen können! Gran hatte mich ziemlich früh in die Tatsachen des Lebens eingeweiht, und Dad hatte mir auf seine knappe, barsche Art alles erzählt, von dem er meinte, dass ich es wissen müsste – was sich im Wesentlichen auf Sei nicht blöd und Kauf keine billigen Tampons, wir haben Geld, summierte.
    Diese Sache mit dem »Blühen« war, als würden sämtliche Pubertätsfragen nochmals auf einen einstürmen und man könnte nirgends hingehen, um zu, na ja, recherchieren. Vielleicht fand sich in der Bibliothek etwas für wissbegierige weibliche Djamphire. Ich lachte ungläubig. Vor allem aber fühlte ich mich wie ich selbst, und das hatte ich seit Wochen nicht mehr erlebt.
    Nachdem ich einige Zeit wie ein Idiot dort gehockt hatte, fiel mir ein, dass ich mich lieber nach einem Abstiegsweg umsehen sollte. Ich hatte schließlich einen Plan, und der schloss nicht mit ein, den ganzen Tag auf dem Dach herumzuhängen. Also hörte ich auf, Wald und Himmel anzustarren und die seltsame, kalte, regenfeuchte Freude zu inhalieren. Trotzdem blieb sie bei mir, als ich mich auf dem Dach umschaute und versuchte, es so zu betrachten wie die Erhebungen und Vertiefungen um Grans Haus herum. Hatte man den kompletten Überblick, konnte man sich so ziemlich überall einen Weg suchen – mit einem Kompass und gesundem Menschenverstand, wohlgemerkt. Alles, was ich hier oben brauchte, war Verstand.
    Von wie viel Verstand es zeugte, dass ich auf einem Dach herumkraxelte, konnte ich nicht sagen. Aber ich blickte mich gründlich um und merkte, wie ich bewusst vorsichtig zu überlegen begann. Ich wartete auf das Kribbeln, das mir verriet, es wäre sicher, mich zu bewegen, und das mir überhaupt sagte, welchen Weg ich einschlagen sollte.
    Solche Dinge durfte man nie übereilen, genauso wenig, wie man ein Pendel etwas fragen konnte, das man unbedingt, dringend wissen wollte. Das Wünschen bildete einen Schirm vor der wahren Antwort, die man womöglich nicht hören wollte. Deshalb musste man ganz ruhig bleiben und sich so gut es ging von der Antwort distanzieren. Es ist anders als die Intuition, auf die man in einer Notlage zurückgreifen muss, wenn man bloß das Schreien um einen herum ausblenden und auf die leise Stimme der Gewissheit lauschen sollte.
    Gran hatte mich immer wieder ermahnt, dass das Pendel einem manchmal nur sagte, was man hören wollte, und sonst gar nichts. Gewöhnlicher Menschenverstand, erklärte sie ein ums andere Mal. Pah! So gewöhnlich wie Schnee im Hochsommer vielleicht, aber du musst das Ding zwischen deinen Ohren benutzen, Kindchen.
    Mich überkam ein solch übermächtiges Heimweh, dass ich beinahe nach hinten kippte. Ich sehnte mich danach, wieder in Grans kleinem Haus oben in den Appalachen zu sein, dem Surren und Klopfen ihres Spinnrads an kalten Abenden zu lauschen und zu riechen, was sie zum Abendessen kochte, oder die

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