Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
Mixturen, mit denen sie Fenster und Böden wischte, zu schnuppern. Schafgarbe, Lavendel, Wildrose, dauernd war mit irgendetwas geschrubbt worden. Aber es hatte auch jene Zeiten am Abend gegeben, wenn es zu dunkel war, um draußen zu arbeiten, in denen Gran spann und ich halb liegend auf dem alten kleinen Sofa saß und in den Eisenofen starrte. Es war warm und sicher, und ich hatte nie warten müssen, dass Gran kam und mich holte. Sie war immer da gewesen.
Das ziehende Kribbeln in meinem Solarplexus setzte ein. Ich betrachtete das Dach genauer und fand meinen Abstiegsweg. Der mir nicht sonderlich gefiel. Ich müsste über ein paar steile Schrägen steigen und an einer Stelle springen, um auf ein langes galerieähnliches Dachstück zu gelangen. Von dort konnte ich in einem geschützten Winkel herunterhüpfen auf einige … waren das Mülleimer? Ja, es mussten Mülleimer sein, zumal sie direkt hinter der Küche standen. Vielleicht konnte ich bei dieser Gelegenheit sogar hineinlinsen und sehen, wer hinter den ganzen Dampfschwaden kochte.
Und wie kommst du wieder nach oben? Wo du schon so schlau bist, wie steigst du wieder in die Schola zurück?
Das wäre kein Problem. Ich konnte einfach an die Vordertür klopfen, dann ließen sie mich schon herein, oder nicht?
Als mir die fehlenden Steinlöwen wieder einfielen, schwand meine Sicherheit rapide. Aber jetzt war es zu spät, um zu kneifen. Ich würde mir eben etwas überlegen.
Ein letztes Mal blickte ich auf meine verkrusteten Hände, dann setzte ich mich in Bewegung.
Ins Bootshaus zu kommen, war nicht schwierig. Es hatte eine schlichte Holztür und einen Riegel, an dem einst wohl ein Vorhängeschloss gehangen hatte, der nun aber weitestgehend durchgerostet war. Ich sah mich nach irgendwelchen Anzeichen um, dass hier jemand wohnte. Nichts. Vorsichtig schob ich die Tür mit meinem Fuß auf und zuckte zusammen, als die rostigen Angeln kreischten. Dann ging ich hinein. Mein Messer war wie von selbst aus meiner Tasche in meine Hand gewandert, allerdings wünschte ich, dass ich stattdessen eine Waffe gehabt hätte.
Alles war vollkommen verfallen. Ein Boot war verrottet und unter die gläserne Wasseroberfläche in der Mitte gesunken. Ein anderes hing darüber an rostigen Ketten und sah aus, als hätte es seit ungefähr zwanzig Jahren niemand mehr angefasst. Löcher klafften in den Seiten, und die Ketten schienen ebenfalls nicht mehr verlässlich.
In den Ecken vergammelten aufgewickelte Taue. Es roch nach Schimmel und Moder sowie dem metallischen Gestank von Schmelzwasser aus dem Fluss. Bei jedem Schritt sank der Boden unter meinen Füßen ein bisschen ein.
Und auf der anderen Seite, wo ein Ruderboot unter einer schwer aussehenden Plane auf dem Sandboden lag, tauchte er einfach auf.
Christophe trat aus dem Schatten. Seine blauen Augen funkelten. Sein blondgesträhntes Haar, das immer nach einem extrateuren Schnitt aussah, saß makellos. Er ließ die Hände an seinen Seiten baumeln, als hätte er sie bis eben hochgehalten. Was hatte er denn vorgehabt? Hatte er geglaubt, ich wäre ein Feind?
Etwas in mir brodelte. Ich stieß einen hohen Mädchenlaut aus. Gleichzeitig klickte mein Messer, und die Klinge schnellte heraus.
Super. Absolut super! Alles, was ich mir für diesen Moment überlegt hatte, war wie weggeblasen. Ich stand da neben einem Haufen modernder, gammliger Holzlatten und starrte ihn an. »Du hast mich belogen! « Ich klang, als hätte jemand mir in den Magen geboxt.
» Hallo gilt gemeinhin als die angemessenere Begrüßung.« Er hob eine Schulter und senkte sie wieder. Ein Apfel-Zimt-Hauch erreichte mich, legte sich hinten in meine Kehle und reizte den Bluthunger. »Und inwiefern soll ich dich angeblich belogen haben, Dru?«
Jedes Mal, wenn ich ihn sah, war es, als hätte ich vergessen, wie perfekt seine Gesichtszüge aufeinander abgestimmt waren. »Ein Sechzehntel, hast du gesagt! Du hast gesagt, jemanden wie dich nennt man ein Halbblut, dabei wärst du rein technisch gesehen ein Sechzehntelblut!«
»Ah! Wird das ein Vortrag über die Feinheiten der Vererbungslehre?« Dennoch verdunkelte seine Miene sich. Offenbar ahnte er, wohin dieses Gespräch führte.
Eine Sekunde lang dachte ich, wie befriedigend es wäre, ihn zu schlagen, all die Wut herauszulassen, die sich hinter meinen Rippen staute, und zu sehen, ob er mich immer noch so leicht hin- und herschubsen konnte. »Sergej.« Der Name fühlte sich wie ein scharfer Wutstachel in meinem Kopf an. »Dein
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