Strange Love (German Edition)
Journalisten quälten ihn oft mit ihren löchernden Fragen, und manchmal war er einfach zu erschrocken, um zu antworten.
Die Straßen waren fast leer, keine Menschen, keine Autos, ein paar Nachtschwärmer lediglich. Nick fühlte sich unwohl. Er war froh, als der Hausschlüssel vertraut in seinem Schloss knackte.
Eilig trat Nick ein, Cerys folgte ihm unsicher.
Ein angenehmer Geruch durchströmte die Wohnung – irgendein Tee und Hasch.
Cerys atmete das Aroma ein. Sie hörte Nicks Stimme – er war bereits in die Küche gegangen – und eine andere, deutlich jüngere. Daniel?
Sie folgte Nick in die Küche, und als sie Daniel sah, erstarrte sie. Sie erkannte ihn sofort, er hatte auf einem Konzert neben ihr gestanden und war später mit Nick verschwunden. Nicks Lover. Aber was war mit ihm passiert?
Er stand dort mit bloßem Oberkörper, nur mit seinen Shorts bekleidet, sein Rücken mit dicken, aufgequollenen Striemen übersäht, zum Teil blutig.
Es sah entsetzlich aus, und Cerys vermutete, dass er starke Schmerzen hatte.
Jetzt drehte Nick sich um und trug die Teekanne ins Wohnzimmer, an Cerys vorbei. Daniel starrte sie an.
»Hi.«
Sie räusperte sich. »Hallo.«
Und folgte den beiden in Nicks Wohnzimmer. Ihr Blick blieb auf Daniels Rücken haften. So schrecklich es aussah, es faszinierte sie auch auf eine morbide Weise.
Nick setzte sich auf eines der dunkelblauen Sofas und deutete auf Daniel. »Das ist Daniel.«
Cerys streckte ihm die Hand entgegen. Etwas verlegen sah Daniel sie an und erwiderte ihren Händedruck.
»Daniel – Cerys.«
In Cerys’ Kopf entstanden die abstrusesten Gedanken. Warum war Daniel hier? Hatte Nick ihn am Ende selbst so zugerichtet? War Daniel sein Sklave? Vielleicht war sie jetzt in irgendein mörderisches Sexspiel hineingeraten?! Vielleicht hatte Nick sie nur hergelockt, um sie später in einer schwarzen Messe zu opfern ...
»Möchtest du auch ’n Tee?« Daniels weiche Jungenstimme riss sie aus ihren wirren Gedanken.
»Ja, danke.« Ihre Stimme klang heiser. Nick musterte sie intensiv. Es sah fast so aus, als würde er ihre Gedanken lesen.
»Ich habe ihm das nicht angetan«, erklärte er lächelnd.
Cerys erschrak. Aber war seine Aussage nicht einfach nur logisch?
Daniel wurde rot, als er Cerys die Tasse reichte.
»Nein, Nick war es wirklich nicht«, bestätigte er.
Cerys nickte langsam. Sie beobachtete ihn, wie er sich eine Tasse Tee eingoss und sich anschickte zu gehen.
»Ich leg mich wieder hin, ja?«
Nick grinste. »Ja, geh ruhig. Sitzen kannst du ja eh nicht.«
Daniel zog eine Grimasse. Täuschte Cerys sich, oder war sein Gang leicht schwankend?
Sie sah sich im Zimmer um. Außer den schönen dunkelblauen Sofas und Sesseln befanden sich einige Verstärker, zwei E-Gitarren und mindestens drei Akustik-Gitarren in diesem Raum. An der Wand hingen drei CD-Racks, ein wunderschön gerahmtes Bild von Nick Drake und eine Collage mit Szenenbildern aus dem Film Velvet Goldmine. Eine violett-rote Lavalampe verbreitete angenehm gedämpftes Licht.
Sie führte die Teetasse an die Lippen und trank einen Schluck des herrlich duftenden Getränks. Sie hatte so viele Fragen an Nick, dass sie keine richtig formulieren konnte.
Nick hatte sich bequem in seinem Sofa zurückgelehnt. Er ließ Cerys sich umsehen, es war ihm bewusst, dass viele sich einfach nicht vorstellen konnten, wie er wohnte. Dass er überhaupt ganz normal wohnte.
Cerys räusperte sich. »Daniels Rücken ... der muss ärztlich versorgt werden.«
Nick lachte leise. »Glaubst du vielleicht, der ließe da auch nur einen Arzt dran? Nope – das muss so heilen. Muss halt desinfiziert werden und eingecremt. Dafür bräuchte ich natürlich auch deine Hilfe. Siehst ja, dass er da nicht viel machen kann.«
Cerys nickte. »Und du meinst echt, ich sollte hierbleiben? Hier ... übernachten?«
»Klar, wenn du willst.«
Cerys zögerte keinen Augenblick. »Ja, natürlich.«
Als Cerys Nicks Wohnung verließ, hatte sie das angenehme Gefühl etwas wirklich Wichtiges erreicht zu haben. Mit der Tube fuhr sie zurück zu ihrer Wohnung. Normalerweise fuhr sie um diese Uhrzeit nicht mehr allein mit der Tube, aber heute hatte sie eine Ausnahme machen müssen, oder nicht?
Sie fühlte sich nicht besonders wohl, denn es waren viele zwielichtige Gestalten unterwegs.
Natürlich wusste Cerys, dass große Teile Londons videoüberwacht waren. Aber – würde Hilfe wirklich rechtzeitig erscheinen, wenn ihr Gefahr drohte?
Sie schob die
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