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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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warteten: Touristen ausnehmen, ihnen getürktes Haschisch andrehen oder ein Fahrrad klauen.
    Und gleich um die Ecke eine Moschee, die Tariq-ibn-Ziyad-Moschee, benannt nach dem ruhmreichen Eroberer Andalusiens, der es mir eingebrockt hatte, in diesem Viertel gelandet zu sein: Es war die einzige Moschee, die Judit kannte, eine der ältesten in Barcelona, in einem Laden im Erdgeschoss eines renovierten Hauses. Sie war sauber und ziemlich geräumig.
    Nicht weit entfernt gab es auch zwei Buchläden, zwei Schritte weiter einen großen Supermarkt im Kellergeschoss und jeden Sonntag den Bücherflohmarkt ganz in der Nähe, ich war zufrieden. Traurig, mit gebrochenem Herzen wegen Judit, aber zufrieden.
    Ich suchte Nachrichten über den Tod von Cruz; mehr als diese winzige Meldung im Diario Sur konnte ich nicht finden:

    DRAMA IN ALGECIRAS
VON SEINEM ANGESTELLTEN VERGIFTET

    Der Besitzer des Bestattungsunternehmens Marcelo Cruz wurde an seinem Arbeitsplatz tot aufgefunden, vergiftet mit Strychnin. Einer seiner Nachbarn und Mitarbeiter, Imam der Moschee von Algeciras, informierte die Rettungskräfte. Noch sind die näheren Umstände dieses Dramas unbekannt, doch wie aus der Polizeibehörde verlautet, soll Herr Cruz von einem seiner Angestellten vergiftet worden sein, der ihn nach der Tat ausgeraubt hat und geflohen ist.
    Ich wurde also wegen Mord und Raub gesucht.
    Es war keine Überraschung, dies in der Zeitung zu lesen, dennoch hatte ich einen Kloß im Hals. Zum Glück hatte Cruz mich nie bei den Behörden gemeldet; es gab keine Arbeitsgenehmigung von mir, keine Kopien meiner Papiere, nichts außer meinen Fingerabdrücken und meiner DNA – der Imam kannte meinen Familiennamen nicht: Er konnte mich allerdings beschreiben, angeben, dass ich Lakhdar hieß und aus Tanger stammte. Das war weit mehr als nötig, um mich im Falle einer Verhaftung zu identifizieren, zumal mit einem so ungewöhnlichen Vornamen wie meinem.
    Ich dachte wieder an Cruz’ Hunde, fragte mich, wer sich um sie kümmern würde. Vielleicht, weil sie der einzige Lichtblick in der Dunkelheit der letzten Wochen gewesen waren, ihre selbstverständliche Zärtlichkeit, ihr Fell und ihr Atem fehlten mir.
    Um nicht verhaftet zu werden, musste ich also brav in der Straße der Diebe versteckt bleiben.
    Alles schien weit weg zu sein.
    Judit, die näher war denn je, schien weit weg zu sein.
    Tanger war weit weg.
    Meryem war weit weg, Bassam ebenso; und die Soldaten von Jean-François Bourrelier; und Casanova; ich hatte ein neues Gefängnis gefunden, Carrer Robadors, um mich zu verstecken; man kommt nie aus der Gefangenschaft heraus.
    Das Leben war weit weg.
    Die ersten Tage waren schwierig – ich wohnte völlig ahnungslos in einem Studentenhotel: Ich hatte meinen Pass an der Rezeption abgeben müssen, die Polizei hätte mich ohne Mühe finden und direkt aus dem Bett heraus verhaften können. Aber nie spielt sich etwas so ab wie in Büchern. Wie dem auch sei, versteckt im Raval-Viertel, in den dunkelsten Winkeln, zwischen Nutten und Dieben, hatte ich das Gefühl, nichts zu befürchten zu haben.
    Die Tariq-ibn-Ziyad-Moschee war fest in der Hand von Pakistani; man traf dort auch einige Araber an, aber wenige im Vergleich zu den Pakistani. Der Imam kam aus dem Pandschab. Anfangs hielt ich mich dort auf, um Leute kennenzulernen, mich beim Gebet und beim Lesen auszuruhen. Wenn man kein Zuhause hat, wenn man niemanden kennt, muss man irgendwo anfangen: in Bars oder Moscheen – und ich hatte das Richtige gewählt. Dank der Moschee fand ich mein Zimmer in dieser heruntergekommenen, aber angenehmen Wohnung mitten in der Festung Raval: ein dreißig Quadratmeter langer Schlauch mit einem kleinen Balkon. Ich teilte die Wohnung mit einem Tunesier namens Mounir. Ich zahlte dreihundert Euro monatlich mit allen Nebenkosten – tatsächlich wusste niemand, wer den Strom bezahlte, wenn überhaupt je eine Rechnung kam; was das Wasser anging, so stammte es aus großen Auffangbehältern auf dem Dach, und es gab keine Wasserzähler. Ich habe nie herausgefunden, wer der Besitzer war – wir zahlten die Miete in einer Bar an der Carrer de Sant Ramon, das war alles. Als Mounir Ende April nicht zahlen konnte, haben ihm zwei Typen eine ordentliche Tracht Prügel verpasst, was ihn ermunterte, schnell Kohle aufzutreiben, er rappelte sich auf, ging das Risiko ein, vier schöne Fahrräder zu stehlen, die er verschleuderte, mehr nicht.
    Meine Beziehung zu Judit war seltsam. Wir sahen uns nahezu

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