Straße der Diebe
einfach mit sich geschehen, und alle meine Zärtlichkeiten und all meine Liebe konnten nichts ausrichten, so wenig, dass ich mich schämte, als ich fertig war und sie sich schweigend wieder anzog, ich fühlte Scham und hatte Schuldgefühle, als ob ich sie vergewaltig hätte. Sie beruhigte mich, sagte mir, ich sei lächerlich, sie habe nur gerade keine Lust gehabt, das sei alles.
»Ich habe es dir gesagt, ich fühle mich nicht stark genug, um mit jemandem zusammen zu sein.«
Für mich war das absolut unverständlich, es musste sich um eine Krankheit handeln. Mit einem Mal verwöhnte ich sie; ich schrieb ihr Gedichte, ich schenkte ihr Bücher, ich erinnerte sie an die schönen Augenblicke in Tanger und in Tunis. Von diesen Erinnerungen wurde sie melancholisch. Sie wirkte zerbrechlich, als ob ein Nichts sie umwerfen könnte.
Ich ließ sie nicht mehr aus den Augen.
Barcelona war wild und schön, ich liebte die Eleganz, den Rhythmus, die Klänge der Stadt, die Verschiedenheit der Stadtviertel vom Gràcia bis zum Poble Sec, vom Hafen bis zu den Bergen, die seltsame Einheit, die es zwischen den Unterschieden gab, und die verborgenen Winkel, die Überraschungen, die die Stadt bereithielt – zwei Schritte von mir, von Mauern geschützt, verbarg sich zum Beispiel hinter einer gewölbten Steinpforte das alte Hospital de la Santa Creu und sein herrlicher, mit Orangenbäumen bepflanzter Garten, sein schöner Brunnen und die herrlichen Steintreppen der Katalanischen Nationalbibliothek – sobald sich ein Sonnenstrahl zeigte, setzte ich mich dort auf eine Bank, um im Duft der Orangenblüten zu lesen; hübsche Studentinnen der Kunstgewerbeschule kamen heraus, um eine Zigarette zu rauchen, setzten sich auf die Treppenstufen, und es war schön, ihnen eine Weile zuzuschauen; ein paar Schritte weiter, unter der alten Klosterpforte, genehmigte sich eine Gruppe von Stadtstreichern Bier und literweise Rotwein, auch sie sahen aus, als hätten sie einen Platz nach ihrem Geschmack gefunden, ganz wie die Drogensüchtigen der Straße der Diebe, die Shit-Verkäufer, die Taschendiebe, alle schienen diesen Ort zu schätzen – aus unterschiedlichen Gründen natürlich. Das mittelalterliche Hospiz erfüllte im Grunde weiterhin seinen Dienst: Es beherbergte arme Dinge, Bücher, Künstler, Betrunkene und Diebe.
Am Abend, wenn Judit keine Lust zum Ausgehen hatte, wanderte ich eine Zeit lang über die Rambla Raval, einen langgezogenen, der Länge nach mit Palmen gesäumten Platz, auf dem überall Bänke stehen, dazu an einem Ende eine riesige bronzene Katze, eine Statue, mit der man hier nicht rechnet – die Pakistani schlenderten in ihren Salwar Kamiz umher, die Familien führten ihre Kinder aus, die indischen Frauen und Mädchen trugen ihre schönen bunten Kleider, die Zigeuner holten die Stühle raus und diskutierten auf dem Gehweg vor einem Restaurant, wo ein paar Briten, denen man an der Farbe ihrer Schultern ansah, dass sie den Tag am Strand verbracht hatten, frühzeitig zu Abend speisten – diese ganze kleine Welt schnappte hier ein wenig Luft, nutzte die abendliche Ruhepause, und wenn man die Rambla Raval auf und ab spazierte, hätte man meinen können, es gäbe weder Gegensätze noch Hass, weder Rassismus noch Armut – die Illusion hielt nicht lange an; in der Regel begann ein Araber einen Pakistani zu nerven oder umgekehrt, und schließlich wurde Geschrei laut, das manchmal in Handgreiflichkeiten ausartete.
Wenn die Sonne tief stand, ging ich nach Hause; ich hatte ein neues Ritual: Im Supermarkt kaufte ich mir eine Flasche katalanischen Rotwein, ein paar Oliven und eine Dose Thunfisch; ich setzte mich auf meinen winzigen Balkon in der vierten Etage, öffnete die Flasche, die Dose und die Olivenpackung, ich nahm ein Buch und wartete, dass die Nacht langsam anbrach, ich war der König der Welt. Es ging mir besser als Abu Nuwas am Hof von Bagdad, besser als Ibn Zaidun in den Gärten Andalusiens, ich gönnte mir einen Vorgeschmack aufs Paradies, und es fehlten, Gott möge mir vergeben, nur noch die Huris. Ich las einen spanischen Krimi (ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach) oder klassische arabische Dichtung unter Zuhilfenahme eines Wörterbuchs, das Judit mir geliehen hatte – einen geheimnisvollen Vers voller vergessener Worte zu entschlüsseln war ein riesiges Vergnügen.
Ich hatte den Wein für mich entdeckt. Eine Sünde, sicher, das gebe ich zu, aber eine der angenehmsten und billigsten: Je nachdem, welche
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