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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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Mäusen und den Insekten zu den harmlosesten.
    Manche wurden bisweilen allerdings auch aggressiv wie ein in die Enge getriebener Hund, der die Zähne fletscht und versucht, den Angreifer zu beißen; ich erinnere mich besonders an einen, der einmal wie wahnsinnig ausflippte, als ich seelenruhig auf dem Balkon stand und dem Treiben auf der Straße zusah, der Typ kam wutentbrannt aus der Methadon-Ausgabestelle; er fing an zu schreien, dann brüllte er unverständliche Verwünschungen, schlug mit der Faust auf die Wand ein, dann auf einen Pakistani, der gerade vorbeikam und nicht wusste, womit er sich diese Flut von Schlägen eingehandelt hatte; zwei Leute kamen ihm zu Hilfe: Trotz seiner Magerkeit besaß der Drogensüchtige eine unermessliche, fast göttliche Kraft, drei jungen Männern gelang es nicht, ihn zu bändigen, und beim Versuch, ihn zu umklammern, rissen sie ihm nur die weitaus weniger widerstandsfähigen Kleider vom Leib – erst zerriss sein T-Shirt, dann gab sein Gürtel nach, er wehrte sich wie der Teufel, hielt sich die Angreifer mit heftigen Fußtritten gegen das Schienbein und in die Hoden vom Leib, bis er nur noch im Slip dastand, und wie ein lächerlicher Krieger kämpfte er im Slip weiter, zartgliedrig und mager, die Beine übersät mit Wunden, die Arme gepanzert mit Schorf und Tattoos, fünf Leute, zwei Polizisten und ein Rettungswagen waren nötig, um ihn zu bändigen: Den Bullen gelang es, ihm Handschellen anzulegen, die Männer in Weiß verpassten ihm eine Spritze, bevor sie ihn auf einer Bahre festschnallten und weiß der Henker wohin brachten – der letzte Kampf dieses armen nackten Mannes, dessen Hirn und Körper dem Heroin verfallen waren, war wirklich von trauriger Schönheit; er hatte gegen sich selbst, gegen Gott und den Rettungsdienst gekämpft, die für ihn ein und dasselbe waren.
    Die Huren konnten einem auch leidtun, aber auf andere Weise. Manche waren echte Giftnudeln, scharfe und gefährliche Wölfinnen, die keine Sekunde zögerten, ihre Kunden auszurauben oder einem schlechten Zahler die Augen mit den Fingernägeln auszustechen; sie überhäuften die Männer, die von ihnen nichts wissen wollten, mit Beschimpfungen, bezeichneten sie als Schwule, Waschlappen, Impotente. Die meisten kamen aus Afrika, aber es gab auch einige Rumäninnen und sogar zwei Spanierinnen, darunter eine, die unter einem Vorbau eingangs der Straße hockte, Maria, die so eine Art Hausmeisterin unseres Palasts war.
    Maria war um die vierzig, eher dick, ziemlich freundlich, nicht sehr hübsch, aber nett; sie saß jeden Nachmittag und jeden Abend in ihrem Hauseingang; sie spreizte die Beine, rief uns ihre »Schätzchen« und zeigte uns ihren String, wenn wir an ihr vorübergingen.
    Ich antwortete jedes Mal höflich, guten Tag, Maria, und warf dabei einen raschen Blick auf ihre Möse, das tat niemandem weh, es waren gut nachbarschaftliche Verhältnisse. Ich habe mich nie getraut, mit ihr aufs Zimmer zu gehen – zum einen wegen des Altersunterschieds, der mich einschüchterte, und wegen der Erinnerung an Zahra, die kleine Nutte aus Tanger, die mich traurig machte. Die meisten Stammkunden waren Immigranten, abgebrannte Ausländer, die um den Preis für eine Nummer feilschten, worauf Maria zeterte: Sie spuckte auf den Boden, brüllte wie ein Kalb, dann geh doch zu den Negerinnen für den Preis! Offenbar hatte die Krise den Strich erreicht. Maria lebte mit einem Typen zusammen, der Lastwagen oder zur See fuhr, ich weiß es nicht mehr – jedenfalls war er nicht oft da.
    Die Afrikanerinnen hatten Zuhälter, Mafiosi, denen sie schon in ihrer Heimat ihren Körper für die Reise nach Europa verkauft hatten: keine Ahnung, wie lange sie sich von den Armen und den Touristen rannehmen lassen mussten, bis sie ihre Freiheit wiedererlangten – sollten sie sie je wiedererlangen.
    Es gab auch eine Fahrradreparaturwerkstatt, ein Geflügelkühlhaus, illegale Kühlschränke für die pakistanischen Bierverkäufer, ein Rosendepot für die pakistanischen Blumenverkäufer, mittellose marokkanische Familien, mittellose bengalische Familien, alte spanische Damen (die das Viertel noch aus der Vorkriegszeit kannten und erklärten, dass sich bis auf die Nationalität der Nutten und der Diebe wenig geändert habe) und junge Illegale wie uns, meistens Marokkaner, darunter ein paar Minderjährige, Bälger, die rumhingen und, um sich die Langeweile zu vertreiben und um ein bisschen Heu zu machen, auf die Gelegenheit zu einer krummen Tour

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