Straße der Diebe
willst, stieß ich aus, ich falle dir nicht mehr auf die Nerven; zeig mir nur noch den Weg zu einer Moschee, dann bist du mich los.
Judit schaute mich mit großen Augen an: einer Moschee?
Einer Moschee, einem Buchhändler und einem erschwinglichen Hotel, fügte ich hinzu.
Den Supermarkt finde ich auch alleine.
Ich rief den Kellner, zog einen hübschen, nagelneuen Fünfzig-Euro-Schein aus dem Geldbeutel und ließ es mir nicht nehmen zu bezahlen, obwohl Judit es unbedingt übernehmen wollte.
Städte werden zahm, oder vielmehr zähmen sie uns; sie bringen uns bei, uns gut zu benehmen, und nach und nach verlieren wir in ihnen unsere Ausländerschale; sie schälen uns aus unserer Proletenrinde, schmelzen uns in sich ein, formen uns nach ihrem Bild – sehr schnell geben wir unsere Gangart auf, wir schauen nicht mehr in die Luft, wir zögern nicht mehr, wenn wir eine U-Bahn-Station betreten, wir haben den Rhythmus angepasst, wir gehen im richtigen Tempo, ob man Marokkaner, Pakistani, Engländer, Deutscher, Franzose, Andalusier, Katalane oder Filipino ist, letztlich dressieren uns Barcelona, London oder Paris wie Hunde. Eines Tages ertappen wir uns, wie wir am Fußgängerüberweg warten, dass die Ampel auf Grün schaltet; wir lernen die Sprache, den Jargon der Stadt, wir kennen ihre Düfte, ihr Geschrei – Barcelona erwachte mit dem Scheppern von Zwölferschlüsseln an Gasflaschen, von den Rufen des Butaaanoooooo schreienden Pakistani in seiner orangefarbenen Uniform, der Farbe des Fluchs, des schlimmsten Jobs der Welt, denn für eine winzige Provision musste er sich die dreißig Kilogramm schwere Gasflasche auf den Buckel laden und die engen Treppen von Wohnhäusern ohne Lift bis in den vierten oder fünften Stock hinauftragen: Ob sie tatsächlich Pakistanis waren oder aus Bangladesch, Indien oder auch Sri Lanka stammten, in meinem Viertel waren die »Pakis« Hausierer, die Gas, Rosen oder auch, spät in der Nacht, Bier verkauften, sie betrieben Lebensmittelgeschäfte oder Locutorios , diese Mischung aus Telefonladen und Internetcafé. Anfangs war ich häufig bei mir um die Ecke, auf der Rambla Raval, in einem solchen Laden, um ins Internet zu gehen – die Tarife waren lächerlich, und man traf dort Menschen aus allen Ländern, aller Nationalitäten: Marokkaner, Algerier, Sahrauis, Äquatorialafrikaner, Peruaner, Gambier, Senegalesen, Guineer und Chinesen, die ihre Familien anriefen oder Geld in ihr Heimatland schickten mit einem System des internationalen Bargeldtransfers von Hand zu Hand, einem System, das an Erpressung grenzte, so hoch waren die Provisionen, aber es besaß die Poesie der modernen Welt: Man zahlte hundert, zweihundert oder tausend Euro an einem Schalter in Barcelona mit der Angabe des Adressaten ein, und sofort war die Summe in Quito oder Lahore verfügbar; für die Knete gab es nicht dieselben Grenzen wie für ihre Besitzer, sie entmaterialisierte sich in den Kanälen des Internets, die die Migranten noch nicht selbst benutzen konnten, um in Form von Elektronen, Impulsen, elektronischer Post in Dhaka losgeschickt zu werden und augenblicklich in einem Computer in Barcelona zu erscheinen.
Meine Straße war eine der übelsten im Viertel, eine besonders malerische, wenn man so will, sie trug den blumigen Namen Carrer Robadors, Straße der Diebe, und bereitete der Bezirksverwaltung Kopfzerbrechen – es war die Straße der Nutten, der Drogensüchtigen, der Säufer, der Abgehängten aller Art, die ihre Tage in dieser engen, nach Urin, abgestandenem Bier, Tajine und Samosa stinkenden Zitadelle zubrachten.
Sie war unser Palast, unsere Festung; sie geht als schmale Gasse von der Carrer de l’Hospital ab und wird Ecke Carrer Sant Rafael zu der mit modernen Gebäuden gesäumten Esplanade hin breiter, die in die Rambla Raval mündet; gegenüber, auf der anderen Seite der Carrer Sant Pau, beginnt die Carrer Sant Ramon, eine weitere Festung – dazwischen liegt die neue Filmothek, die das Viertel im Licht der Kultur verwandeln und den Bourgeois aus dem Norden der Stadt anziehen soll, den Reichen aus dem Eixample, der ohne die Kulturinitiativen der Stadt zur Aufwertung des Stadtteils nie hier herunter kommen würde. Freilich müssen die Freunde des Autorenkinos und die Gäste des Vier-Sterne-Hotels an der Rambla Raval nicht nur vor den Ausschweifungen der Plebs beschützt werden, sondern auch vor der Versuchung eines Besuchs bei den Nutten oder des Drogenkaufs, weshalb in der Zone rund um die Uhr Polizisten
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