Strasse der Sterne
warten lassen.«
*
Puente la Reina, Juni 1246
Er stank wie ein Dachs. Und war schmutzig von Kopf bis Fuß.
Im Wald war es ihm nicht aufgefallen, und um Pamplona hatte er einen weiten Bogen gemacht, aus Angst, die Häscher des Abtes könnten ihm dort auflauern. Jetzt aber, wo der Fluss im Mondlicht vor ihm schimmerte, überkam Armando plötzlich Lust zu baden.
Er vergewisserte sich nach allen Seiten, dass er allein war. Unvermittelt musste er lachen. Er begann schon wunderlich zu werden wie ein alter Kauz! Wer außer ihm sollte mitten in der Nacht in den Arga steigen?
Armando schlüpfte aus seinen Kleidern. Es war frisch, aber nicht kalt; er genoss die Brise auf der nackten Haut. Langsam watete er ins Wasser. Er war nur ein mittelmäßiger Schwimmer, der Angst vor dem offenen Meer hatte, aber mit diesem Gewässer hatte er keine Schwierigkeiten. Nach ein paar vorsichtigen Zügen wurde er übermütig.
Die Strömung trieb ihn ein Stück flussabwärts. Unter ein paar Büschen entdeckte er eine helle Gestalt. Unwillkürlich hielt Armando sich am Ufergras fest.
Eine junge Frau, die sich trocken rieb, nackt wie er.
Nasses Haar fiel fast bis zu ihrer Hüfte; im Mondlicht erschien es ihm wie dunkles Gold. Ihre Schenkel waren schlank, das Gesäß wohl gerundet. Beim Anblick ihrer Brüste entwich ihm ein Laut. Im gleichen Augenblick bemerkte er, dass sein Körper eigenmächtig reagierte. Unübersehbar. Sein Schreck war genauso hef t ig wie der ihre, als sie zu ihm herumfuhr und hastig das Kleid vor ihren Leib presste.
»Ich hab ein scharfes Messer.« Ihre Stimme überschlug sich, und ihr Dialekt verriet, dass sie aus der Gegend sein musste.
»Lass dein Messer stecken«, rief Armando. »Ich hab dich gar nicht gesehen.«
»Lügner!« Sie schlüpf t e in das Kleid. Plötzlich war sie vollkommen ruhig. »Los, komm her!«
»Aber ich bin nackt!«
»Meinst du, ich wüsste nicht, wie ein nackter Mann aussieht?«
Er kroch die Böschung hinauf. Seine suchenden Hände fanden einen dicht belaubten Zweig, den er abreißen konnte, um sich zu bedecken. Einziger Vorteil der entwürdigenden Kletterei war das Schwinden seiner Erregung.
Sie musterte ihn so ungeniert, dass er es ebenfalls wagte, sie zu betrachten.
»Sieh an«, sagte sie nach eingehender Prüfung, »ein ansehnlicher Jüngling. Wenngleich ein wenig verlottert. Von Haar- und Bartpflege hältst du wohl nicht sonderlich viel, oder?«
»Ich war lange unterwegs«, versuchte er sich zu verteidigen.
»Das sind wir alle. Du bist ein Pilger?«
Er dachte an den Schatz, den er unvorsichtigerweise zurückgelassen hatte, und nickte.
»Das bin ich auch.« Etwas schien sie zu amüsieren, denn sie begann zu kichern. »Und wie heißt du?«
»Armando.«
»Ein hübscher Name. Ich bin Estrella.« Wieder flogen ihre Blicke über ihn. »Sag mal, Armando, wenn du auch zu Santiago gehst, könnte ich dich nicht ein Stück begleiten? Dann müsste ich mitten in der Nacht keine Angst vor nackten Schwimmern mehr haben.«
Er wollte schon mit einem empörten Nein! antworten. Dann jedoch hatte er plötzlich einen ganz anderen Gedanken. Garantiert suchten sie nach einem einzelnen Pilger mit langem Haar und Bart. Aber nicht nach einem jungen Paar, das gemeinsam nach Westen zog ...
»Warum nicht?«, sagte er. »Ich hab nichts dagegen. Und was meinen Bart betrifft, so hast du ganz Recht. Morgen kommt er runter. Und die Haare auch.«
»Das trifft sich gut.« Sie lächelte. »Morgen ist Markttag in Puente la Reina. Das ist der Ort dort drüben, hinter der Brücke. Wir treffen uns dort - vorausgesetzt, du findest deine Hosen rechtzeitig wieder.«
*
Nach der Einsamkeit der Pyrenäen war die Geschäftigkeit Pamplonas für die Pilger nur schwer erträglich. Trotzdem ging Camino auf die Suche nach Kleidung für Moira und kam mit einem Kleid und einem Umhang wieder zurück.
»Ich stehe immer tiefer in deiner Schuld«, sagte sie. »Wie soll ich das jemals wieder gutmachen?«
»Indem du dich ein wenig um Pilar kümmerst«, sagte er besorgt. Seit dem Tod der Mutter war das Mädchen still und blass. Manchmal wirkte sie abwesend, als träume sie.
»Sie will meine Zuwendung nicht«, sagte Moira. »Sie möchte allein sein.«
»Das glaubt sie nur. In Wirklichkeit sehnt sie sich nach einem Menschen, der ihr nah ist. Sie braucht eine Mutter, Moira. Auch wenn es nicht die eigene ist. Du kennst dich doch mit Kindern aus?«
Überrascht sah sie ihn an. Kein Wort hatte sie ihm bislang verraten.
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