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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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mehr ertragen. Eines Tages beschloss ich, mit all den Lügen aufzuhören. Ich wusste, dass es in den Bergen ein paar versprengte Reine gab, die den Verfolgungen entkommen waren. Und ich beschloss, zu ihnen zu gehen. Seitdem lebe ich hier.«
    »Aber warum ausgerechnet zu ihnen? Dein Bruder ...«
    »Ich habe keinen Bruder.«
    »Dann zu jenen, die dir unser Kind genommen haben? Jene, die dich zwangen, unserer Liebe abzuschwören. Jene, die deine Geheimnisse ...«
    »Alte Geheimnisse sind wie übel riechender Atem.«
    »Blanca, ich muss wissen ...«
    »Gar nichts musst du«, keuchte sie und hielt sich einen Stofffetzen vor den Mund. »Hör auf damit. Es ist vorbei.«
    »Bitte, sprich mit mir«, bat er. »Ich will die Wahrheit kennen.«
    »Die Blanca, die du gekannt hast, ist tot«, erwiderte sie scharf. »Sie starb in einer dunklen Winternacht vor vielen Jahren, allein und von allen verlassen. Das ist deine Wahrheit.«
    Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab.
    Tags darauf schien sie wie verwandelt. Sie trank Milch, nachdem sie erwacht war, aß sogar etwas Brei, bürstete ihr Haar, ließ Pilar holen und begann, sie nach Regensburg auszufragen. Während Pilar von Martin und seinem Vater erzählte, unterbrach sie sie kein einziges Mal; als die Rede jedoch auf Magda kam, zuckte Rena zusammen.
    »Sie hat mich gehasst. Vom ersten Augenblick an«, sagte sie. »Denn sie wusste, dass sie verloren hatte, als ich an Heinrichs Arm das Haus betrat. Dabei hätte er sie niemals angesehen. Auch, wenn ich nicht seine Frau geworden wäre.«
    »Sie ist nicht wirklich schlecht.« Pilar beschloss, die Sache mit dem Kind für sich zu behalten. »Ich glaube, Magda ist nur einsam. Und sie hat Papa geliebt.«
    Jetzt war es heraus, das Wort, vor dem sie sich die ganzen Tage gedrückt hatte! Pilar wusste, dass Tariq ihre Mutter über die Ereignisse in der Wahlenstraße informiert hatte. Aber das war etwas anderes, als ihr in eigenen Worten davon zu erzählen.
    »Wie ...« Rena hustete. »Wie ist Heinrich gestorben?«
    Tränen liefen über Pilars Gesicht.
    »Er war im Turmzimmer, als das Feuer ausbrach, und kam wohl nicht mehr heraus. Ich wäre auch fast verbrannt, hätte Tariq mich nicht im letzten Augenblick ...«
    »Seht, meine Kleine!« Rena nahm sie in die Arme und wiegte sie sanft. »Ich weiß, es ist viel für dich.«
    Ihre Knochen waren zart und leicht wie die eines Vogels, aber Pilar spürte dennoch ihre Wärme. Nach und nach löste sich die Anspannung, die sich wie eine eiserne Kette um sie gelegt hatte. Sie konnte nicht aufhören zu weinen, die Schluchzer kamen tief aus ihrem Inneren.
    »Ein armer Mann soll das Feuer gelegt haben«, stieß sie schließlich hervor. »Sperling!«
    »Ein armer Mann?«, wiederholte Rena zweifelnd. »Warum hätte er das tun sollen? Heinrich war immer großzügig zu den Armen!«
    »Die Lumpen für das Papier, das Papa unbedingt herstellen wollte ... Seine Frau gehörte zu den Leuten, die sie sortiert haben. Sie ist davon krank geworden.«
    »Papier«, wiederholte Rena tonlos. »Nein, dann war das bestimmt kein Armer! Damit hat sie ihn zu Fall gebracht, jene neidische Kaufmannsbrut, die nicht ertragen konnte, dass er anders war als sie. Dass er mich geliebt hat. Und dich. Ohne Fragen zu stellen. Ich habe geahnt, dass das Papier Heinrich kein Glück bringen würde, wie es auch Diego keines gebracht hat. Aber es war das Einzige, was ich zu bieten hatte - abgesehen von einer ausgebrannten Frau ohne Liebe ...«
    Sie zog sich ganz in sich zurück.
    Ohne die tröstenden Arme war es plötzlich sehr kühl. Verwirrt streckte Pilar die Hand nach ihr aus, aber obwohl sie sie berührte, hatte sie das Gefühl, ihre Mutter nicht mehr zu erreichen.
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Wer ist Diego?«
    »Nein«, murmelte Rena. »Niemand.«
    *
    »Wie können sie nur so leben?« Moira schüttelte den Kopf. »In dieser Kargheit. Abgeschnitten von allem?«
    Im matten Tageslicht war der Berg vor ihnen wie ein Tier ohne Augen. Ein starker Wind hatte sich erhoben; Baumskelette klammerten sich ans verwitterte Gestein. Zusammen mit Camino stand sie am Eingang einer großen Höhle. Auf einfachen Holzgestellen ruhten runde Käselaibe in verschiedensten Reifestadien.
    »Sie sind nicht gänzlich abgeschnitten. Sie haben Kontakt zu den Bauern aus den umliegenden Dörfern«, erwiderte er. »Es sind Basken, die reden nicht viel. Und bleiben am liebsten unter sich. Von ihnen erhalten sie im Tausch, was sie brauchen. Was sehr wenig ist,

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