Strasse der Sterne
Steine streckten Blumen ihre winzigen roten Köpfe hervor, als sei der Weg mit Blüten bestreut wie für eine Hochzeit. Kein übliches Begräbnis, wie es einer christlichen Seele gebührte. Zunächst war er erschrocken gewesen, als sie ihm davon erzählten, inzwischen aber hatte Camino begriffen, was sie dazu bewogen hatte. Selbst nach der Schneeschmelze war der Boden zu hart und steinig, um einen Leichnam aufzunehmen. Außerdem war das Feuer ihr Element. In der Feuertaufe wurden sie eins mit dem Herrn. Im Feuer verließ der Körper endlich das Irdische.
Ihr letztes Bett war schon bereitet; ein aus ungeschälten Stämmen roh zusammengezimmertes Gestell, nicht viel anders als die, die sie für ihre Käselaibe verwendeten. Sie hatten ein Tuch darüber gebreitet; blassgelbe, im Lauf der Jahre brüchig gewordene Seide, die vor langem zu einem Kleid verarbeitet gewesen war.
Camino legte sie vorsichtig darauf.
Sein Blick fiel auf das Mädchen, das zitternd neben Tariq stand. Er hatte seinen Abschied gehabt. Ein letztes Mal beugte er sich über die Tote und küsste sie.
»Schlaf gut, Blanca«, sagte er leise. »Ich weiß, wir werden uns wieder sehen - irgendwann.«
Dann ging er hinaus.
Tariq führte Pilar behutsam an das Lager ihrer toten Mutter. »Ich werde dich mit ihr allein lassen.« »Nein. Bleib! Du gehörst hierher.« Fast körperlich konnte sie die Freude spüren, die sie ihm mit diesen Worten bereitete. »Sie hätte es nicht anders gewollt.«
Ihre Finger strichen über das leblose Gesicht. Einsamkeit lasen sie, Entbehrung, Krankheit. Aber auch Würde, Stolz und einen unbeugsamen Willen, der sie beeindruckte.
»Ich wünschte, wir hätten uns besser gekannt«, sagte Pilar. »Und ich hätte mehr von dir gewusst.«
Das Schlucken fiel Tariq plötzlich schwer.
Unwillkürlich trat er einen Schritt auf sie zu, bevor er sich wieder zurückzog. Er hatte lange gewartet, mit dem, was er beizutragen hatte, vielleicht zu lange, wie er zwischendrin immer öfter befürchtet hatte. Aber nun, da die Herrin nicht mehr lebte, hatte ihr Vermächtnis ein neues Gewicht erhalten.
»Aber ich habe dich immer geliebt«, fuhr das Mädchen fort. »Auch, wenn ich dich nicht immer verstanden habe. Und eines musst du wissen: Niemals hab ich mir eine andere Mutter gewünscht. Es macht mich stolz, deine Tochter zu sein.«
Sie hob den Kopf, als sie die Schritte hörte.
»Ist es Moira?«, fragte sie Tariq. »Wen bringt sie mit?«
»Nicht Moira«, erwiderte er. »Sie wartet draußen. Es sind ...«
Die Flammen, das Pech, das Holz!
Plötzlich roch Pilar wieder den brandigen Kuss des Feuers, die Flammen, die sie eingeschlossen hatten.
Die Flammen, die Papa getötet hatten.
»Nein. Sie dürfen sie nicht anzünden!« Sie warf sich über die Tote. »Oder ihr müsst mich mit ihr verbrennen!«
»Es ist ihr Brauch, mi niña.« Sanft versuchte er sie wegzuziehen, aber sie klammerte sich mit aller Kraft an Renas Leichnam. »Sie glauben daran. Für sie ist Feuer lebendig. Sie vertrauen seiner reinigenden Kraft.«
»Lass sie gewähren, Pilar.« Camino war neben ihnen. »Sie tun deiner Mutter nicht weh. Das, was hier liegt, ist nur ihr Körper, die sterbliche Hülle. Ihr Seele ist längst bei Gott.«
»Aber sie darf nicht verbrennen - nicht auch noch sie!«
Zu zweit gelang es ihnen schließlich, das Mädchen zu bändigen. Aber noch immer wehrte sie sich mit Händen und Füßen, als sie sie hinaustrugen.
In der klaren Luft wurde sie langsam ruhiger.
Die Männer gingen ein Stück zur Seite und überließen sie sich selbst. Sie hatten darauf geachtet, sie weit genug von der Höhle wegzubringen. Denn sie wussten, das Knacken der dürren Zweige, an denen die Flammen leckten, würde den scharfen Ohren der Blinden kaum entgehen.
Pilar warf den Kopf in den Nacken und blinzelte gegen die Tränen an. Über dem Berg lösten sich die Wolken auf. Der eben noch so tiefe Himmel schien auf einmal lichter. Sie konnte nicht sehen, was sich hoch über ihr vollzog, schien es aber zu spüren.
»Das Wetter ändert sich«, sagte sie unvermittelt. »Es reißt auf. Vielleicht ist es ein Zeichen, das er uns geschickt hat.«
»Was meinst du damit?« Moira war vorsichtig näher gekommen. Am liebsten hätte sie Pilars Hand gehalten, um den Schmerz aus dem Mädchengesicht zu verbannen, aber sie wagte es nicht. Zu vertraut war ihr das Gefühl dieser inneren Leere.
»Santiago«, sagte Pilar, »ich fürchte, er wird langsam ungeduldig. Wir sollten ihn nicht zu lange
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