Strasse der Sterne
Und dennoch schien er zu ahnen, was sie bewegte.
»Ein wenig«, sagte sie. »Ich kann es ja versuchen.«
»Lass ihr Zeit. Aber sei für sie da, wenn sie dich braucht. Das ist alles, worum ich dich bitte.«
Sie atmeten auf, als sie die Stadt verlassen hatten. Die Felder begannen sich golden zu färben; die Luft war erfüllt vom Summen unzähliger Insekten.
»Es ist nicht mehr weit bis Puente la Reina«, sagte Camino, als sie mittags im Schutz einer immergrünen Eiche Rast machten. »Aber zuvor möchte ich euch etwas zeigen.«
»Was soll das sein?«, fragte Tariq. Der Tod der Herrin hatte sich wie ein Schatten über sein Gemüt gelegt. War er mitschuldig an ihrem Ende, weil die Aufregung über das unerwartete Wiedersehen sie zu stark geschwächt hatte?
»Ich fürchte, Tariq, du wirst nicht viel davon haben«, sagte Camino. »Aber für mich ist Santa Maria de Eunate das schönste Haus Gottes.«
Inmitten weiter Felder lag die kleine achteckige Kirche. Die sandfarbene Kuppel, gekrönt von einem Glockenturm, und der runde Turm zeichneten sich scharf gegen den leuchtenden Himmel ab. In der Ferne graste eine Schafherde. Schwalben zogen ihre Bahn.
»Sie strahlt so viel Frieden aus«, sagte Moira, als sie davorstanden. »Ich habe immer behauptet, Gott brauche kein Haus, weil er ohnehin in allem lebendig ist, was atmet und lebt. Aber vielleicht habe ich mich getäuscht.«
Sie begann die umlaufenden Arkaden abzugehen, die wie ein filigraner Schutz wirkten, gleichzeitig aber einen Blick über die frühsommerliche Landschaft erlaubten. Nach ein paar Schritten hielt sie inne und schaute nach oben. Da waren sie wieder, die Symbole der Steinmetze, hier viele Dutzend Mal in den hellen Stein geritzt!
»Die Zeichen«, sagte sie. Angstvoll suchten ihre Augen die Kapitelle nach einem Blitz ab.
»Sie stammen von den Menschen, die die Häuser Gottes errichten und mit großer Liebe und Sorgfalt ausschmücken«, sagte Camino, der sich fragte, warum sie auf einmal so blass geworden war. »In meinen Augen wahre Meister!«
»Ich weiß«, erwiderte Moira, die langsam wieder Farbe bekam, weil sie nirgendwo Geros Blitz entdeckt hatte. »Diese Menschen schaffen Großes. Aber manchmal zerstören sie auch seine Schöpfung.«
Inzwischen hatte Tariq Pilar vom Pferd geholfen; Camino führte sie hinein. Sie ließ sich auf der umlaufenden Steinbank nieder.
»Ich kann Seinen Atem fühlen«, sagte das Mädchen nach einer Weile. »Und ich spüre die Kraf t der Madonna, ganz fein und zart. Wie ein Sonnenstrahl, der auf der Wange kitzelt.«
»Oder wie die Arme einer Mutter«, fügte Moira hinzu. »Weich und offen.«
»Dort drüben steht eine kleine Statue«, sagte Camino, von ihren Worten bewegt. »Ich denke, sie segnet uns gerade.«
Es war nur ein kurzer Blick, der etwas zwischen ihnen veränderte. Moira und er schienen es gleichermaßen zu spüren, als sie weiterzogen und später beschlossen, in Puente la Reina Nachtquartier zu nehmen.
Schon bevor sie die Stadt erreicht hatten, kamen ihnen zahlreiche Karren entgegen.
»Sieht nach dem Ende eines Markttags aus«, sagte Camino. »Dann bekommen wir vielleicht ein gutes Stück Fleisch vorgesetzt.«
Sie waren gerade bei der Brücke angelangt, als lautes Geschrei zu hören war.
»Nimm du die Frau«, rief ein stämmiger Mann, der einen anderen fest umklammert hielt. »Die hat einiges zu bieten! Ich hab beobachtet, wie sie heut' den ganzen Tag den Bauern das Geld aus der Tasche gezogen hat. Erst ihre Silberbörse, dann das andere Schatzkästlein. Aber lass mir auch noch was übrig!«
Dann schlug er mit einem einzigen kräf t igen Knüppelhieb den Mann nieder, der ihm röchelnd vor die Füße fiel.
»Zu Hilfe!« Schreiend wand sich die junge Frau im Klammergriff des zweiten Wegelagerers. »Er hat ihn umgebracht! Er wird auch mich töten.«
»Tariq, komm!« Camino drückte Moira das Halfter in die Hand und rannte los.
Die Angreifer waren wie versteinert, als sie die beiden Männer auf sich zustürmen sahen. Der eine ließ die Frau los, die ihre Röcke raffte und machte, dass sie davonkam. Der andere fuchtelte mit dem Knüppel vor Camino herum.
»Du willst es wirklich wissen?« Caminos Knie fuhr ihm zwischen die Beine. Mit einem Schmerzenslaut ging er zu Boden. Camino entwand ihm den Knüppel und schleuderte ihn in hohem Bogen davon. Die junge Frau mit dem rotblonden Haar rannte ihm hinterher.
»Was machen sie?« Pilar klammerte sich an Moira. »Es klingt fürchterlich!«
»Ach, Tariq und
Weitere Kostenlose Bücher