Strasse der Sterne
muss sehr schön sein. Und wenn du sie liebst ...«
»Aber ich liebe sie doch gar nicht«, stieß er hervor. »Ich wünschte, es wäre niemals geschehen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich seitdem fühle, so ...«
Estrella näherte sich mit großen Schritten. Sie schwenkte zwei Brotlaibe über ihrem Kopf.
»Sie kommt«, flüsterte Armando. »Wir müssen später weiterreden.«
»Gar nichts müssen wir«, sagte Pilar heftig.
Jetzt war Estrella neben ihnen angekommen.
»Was habt ihr beiden denn so eifrig zu tuscheln? Raus damit, Armando! Ihr habt mich neugierig gemacht.«
Camino, Moira und Tariq, die mit den aufgefüllten Kalebassen zurückkehrten, enthoben ihn einer Antwort.
Estrellas Argwohn war geweckt. Als sie das Stadttor von Burgos passierten, flogen ihre Blicke zwischen Pilar und Armando hin und her. Die Blinde schien wie immer; Armando dagegen wirkte schuldbewusst.
Hatte sie das Mädchen unterschätzt? Erwuchs ihr eine
Rivalin in nächster Nähe, die sie zu wenig ernst genommen hatte?
Nein, das waren sicher nur Hirngespinste!
Sie beschloss, ihn fester an sich zu binden. Ihre gemeinsame Nacht schrie nach Wiederholung. Wäre es nach ihr gegangen, sie hätte bereits stattgefunden. Sie würde dafür sorgen, dass es bald so weit war.
*
Estrella machte sich auf den Weg, sobald sie eine Unterkunft gefunden hatten. In Burgos gab es so viele Pilgerhospize, dass ihnen die Auswahl zum ersten Mal schwer gefallen war. Glücklicherweise hatten sie schließlich eines gewählt, das mitten in der Stadt lag, gleich neben der Kirche San Lorenzo. So bedurfte es nur weniger Schritte, bis sie auf dem Marktplatz angekommen war.
Sie war ein wenig spät dran für das ganz große Geschäft, das sagte ihr das Gefühl. Die ersten machten sich schon daran, zusammenzupacken, aber es waren noch immer genug, um ihre Künste anzubieten.
»Wer möchte seine Zukunft erfahren?«, rief sie, während sie langsam von Stand zu Stand schlenderte und ihre Karten dabei schwenkte. »Der Magier, die Kaiserin oder der Turm? Es liegt ganz allein in eurer Hand!«
»Was willst du dafür?«, fragte eine junge Marktfrau.
»Was ist es dir denn wert?«, konterte Estrella.
»Kommt ganz drauf an!«
Estrella lachte. »Bei mir bekommst du nur erstklassige Deutungen. Aber für die Zukunft musst du Platz schaffen!«
Sie schob Zuckerkringel und Mandelkuchen zur Seite und begann zu mischen. Ohne den Kopf zu heben, spürte sie, wie sich die ersten Neugierigen näherten. Es ließ sich gar nicht übel an. Wenn nur jeder Zweite bezahlte, versprach es ein einträglicher Tag zu werden.
»Abheben!«
Das gewohnte Ritual. Sie ließ die Frau ziehen. Irgendetwas brachte Estrella dazu, länger als üblich über den umgedrehten Karten zu grübeln.
Dann deckte sie die erste auf.
»Der Papst!«, entfuhr es ihrer Kundin.
»Nein, nicht der Papst«, sagte Estrella, »das ist ...«
»Gotteslästerung!« Breitbeinig hatte sich ein Mönch in schwarzer Kutte vor ihr aufgebaut; etwas hinter ihm standen drei weitere Fratres. »Siehst du nicht das Zeichen des Herrn?« Seine magere Hand wies zum Glockenturm, der in den blauen Himmel ragte. »Und da wagst du, deine heidnischen Orakel auszubreiten? Das ist Teufelswerk. Pfui!« Er spuckte auf die Karte.
Estrella zwang sich, ruhig zu bleiben, und wischte die Speicheltropfen mit ihrem Rocksaum fort.
»Mit dem Teufel hab ich nichts zu schaffen. Und Gott habe ich niemals gelästert«, sagte sie. »Außerdem ist alles freiwillig. Keiner wird gezwungen, zu mir zu kommen.«
Mit einer wütenden Armbewegung fegte der Mönch die Karten vom Tisch. »Das sagen sie alle«, rief er. »Und fahren doch damit fort, Satan zu dienen. Seht sie euch nur an! Eine Hure, sündig und verderbt. Wer sich mit ihr einlässt, hat sein Seelenheil verwirkt.«
Erschrocken war die Frau neben ihr zur Seite gesprungen. Estrella hatte plötzlich ein Gefühl, als ob alle auf dem Platz zurückwichen. Sie schielte zu ihren Karten, wagte aber nicht, sie aufzuheben.
»Du täuschst dich«, sagte sie. Ihre Stimme klang dünn. »Ich bin doch nur ...«
»Packt sie! Treibt sie aus der Stadt! Denn sie giert nur scheinbar nach eurem Silber. Eure unsterbliche Seele ist es, nach der sie in Wahrheit ihre schmutzige Hand ausstreckt! «
Von hinten bekam sie den ersten Stoß. Estrella taumelte, prallte gegen den Stand und spürte, wie sich das Holz schmerzhaft in ihren Schenkel bohrte.
»Wenn sie nicht blutet, ist es ein Zeichen! Denn die Bräute des
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