Strasse der Sterne
Dann war die Pein so übermächtig, dass er zu taumeln begann.
»Du bringst die Frauen ins Hospiz«, sagte Camino zu Armando, »und dann kümmerst du dich um Walli. Ich werde inzwischen dafür sorgen, dass unserem Freund hier geholfen wird.«
Tariq war zu elend, um etwas dagegen einzuwenden. Er protestierte nicht einmal mehr, als Camino ihn durch die Klosterpforte schob.
»Wo ist euer Infirmar?«, fragte er den Frater an der Pforte. »Ich hab einen Patienten für ihn. Es scheint mir sehr dringend.«
»Fra Tomas? Ich hole ihn.«
Es dauerte nicht lange und ein hagerer, stoppelbärtiger Mönch kam ihnen entgegen.
»Aber das ist ja ein Maure!« Er nahm Tariqs dicke Backe in Augenschein.
»Was dem Zahn herzlich gleichgültig ist«, erwiderte Camino ruhig. »Verstehst du etwas davon, oder müssen wir den Bader herausklopfen?«
»Mach den Mund auf!«
Fra Tomas tastete die wunde Stelle ab, was nicht ganz einfach war, weil Tariq zurückzuckte, wenn er nur in Nähe des Zahns kam.
»Der Backenzahn. Sieht wirklich nicht gut aus. Für Nelkenöl ist es zu spät«, sagte er nachdenklich. »Der Zahnwurm ist bereits zu weit fortgeschritten. Und der Magensaft eines Schweins«, beinahe hätte Tariq ihm den Finger abgebissen, so schnell klappte sein Mund zu, »dürfte vermutlich auch nicht das Richtige sein.« Sein spitzes Kinn sackte noch tiefer. »Da hilft nur noch eins - mein Pelikan. Immer noch besser als der Bandhaken der Fassbinder.«
Er zwang sich zu einem dünnen Lächeln.
»Um Christi willen. Folgt mir in die Klosterapotheke.«
Dort angekommen, drückte der Mönch den widerspenstigen Tariq auf einen Stuhl.
»Was macht er mit mir?« Seine Augen suchten angstvoll Camino.
»Es wird dir bald besser gehen. Aber erst einmal musst du sehr tapfer sein. Ich bin bei dir.« Camino hielt den Kopf des Mauren fest umschlossen. Sollte er ihn vielleicht doch besser zwischen die Beine klemmen? Er entschied sich dagegen. Tariq würde nur noch mehr Angst bekommen. »Es gibt einen Spruch«, sagte er, um ihn abzulenken, »aber ich fürchte, der wird dir auch nicht viel helfen.«
»Fas für hein Spruch?«, lallte Tariq mit geöffnetem Mund und fest zusammengekniffenen Lidern.
»>Tut er nach der Zange greifen, hör ich die Engel im Himmel pfeifen...<«
Das Holzinstrument hatte sich fest um den vereiterten Zahn geschlossen. Tariq begann angstvoll zu gurgeln.
Dann zog der Infirmar an.
»>Streckt er den Geißfuß mir in den Mund<«, fuhr Camino fort, der selber nicht hinsehen konnte, »>dreht die Welt sich kugelrund ...<«
Fra Tomas stemmte sich mit aller Kraft dagegen.
Tariq schlug mit den Füßen wieder und wieder gegen den Boden und verdrehte die Augen. Seine Haut schimmerte ungesund fahl. Schweißtropfen liefen über sein Gesicht.
»>Setzt er an und reißt ihn raus<«, Camino sprach eisern weiter. Es konnte nicht mehr lange dauern. »>Geh'n ...<«
»Da haben wir ihn ja!« Freudestrahlend präsentierte der Infirmar den Übeltäter in seiner Zange. »So ein schönes, starkes Exemplar. Am liebsten würde ich ihn meiner Sammlung beifügen. Und was den Eiter betrifft, der fließt vermutlich von allein aus. Eine Schröpfung zusätzlich morgen könnte allerdings ...«
»>... mir alle Lichter aus<«, unterbrach ihn Camino. »Schnell! Wir brauchen etwas Belebendes! Der Patient hat vor Schreck das Bewusstsein verloren!«
*
In den Bergen von Oca, Juli 1246
Der Mond leuchtete über den Bergen von Oca, als Moira aus der Pforte schlüpfte. Ringsumher Nadelwald, so dicht und undurchdringlich, dass sie unterwegs zweimal vom Weg abgekommen waren und Villafranca erst bei Anbruch der Dämmerung erreicht hatten.
Wind kam auf, bewegte die Zweige und schüttelte die Zapfen. Mehrfach waren sie vor Räubern und Wegelagerern gewarnt worden, die in dieser Einsamkeit Pilger ausraubten. Andere hatten von Wölfen und Bären berichtet. Der Gegner aber, mit dem sie sich auseinandersetzen musste, war nicht minder gefährlich.
Es wühlte in ihr, stach und brannte. Sie schämte sich dafür, kam aber nicht dagegen an. Sie war auf eine Tote eifersüchtig. Und es wurde ärger von Tag zu Tag.
»Gib ihn frei, Rena«, flüsterte sie. Sie zog ihre Stiefel aus, um den Boden unter den bloßen Sohlen zu spüren. Sie sehnte sich nach der Kraft der Erde, die sie trug. »Lass ihn endlich los! Bis zu deinem Tod ist er dir treu geblieben. Damit muss jetzt ein Ende sein. Dir nützt er nichts mehr. Aber ich brauche ihn so sehr.«
Sie glaubte ein Geräusch
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