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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Schmerz kam ganz plötzlich. Dann spürte ich, wie warme Nässe meine Beine hinunterlief.
    »Sancha!«, rief ich panisch. »Das Kind!«
    *
    Der unerwartete Schwall Fruchtwasser hatte mich in Schrecken versetzt. Bislang war es mir gelungen, die Gedanken an den Vorgang der Niederkunft beiseite zu drängen, doch nun überfiel mich die Angst. Es gab kein Zurück mehr. Das Kind hatte es eilig, auf diese Welt zu kommen, die so wenig für seinen Empfang gerüstet war.
    Schnell wurden die Abstände zwischen den Wehen kürzer. Ich fand immer weniger Kraft, die aufeinander folgenden Wellen des Schmerzes zu ertragen, die durch meinen unwissenden Körper jagten, als wollten sie ihn in Stücke reißen. Sancha wuchs über sich hinaus, redete sanft auf mich ein, massierte meinen Bauch und wandte alles an, was ihr jemals über Geburtshilfe zu Ohren gekommen war. Als ich zu pressen begann, packte sie meinen Fuß und stemmte ihn in ihre Hüfte. Und als der Kopf zwischen meinen Beinen erschien, schrien wir beide. Ich spürte keinen Schmerz mehr, nur noch die ungeheure Kraft, in der mein Körper mit dem Kind zusammenfand, um es aus mir hinausgleiten zu lassen.
    »Ein Mädchen!«, hörte ich Sancha flüstern. Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen. Und als ich die Wärme des kleinen, glitschigen Körpers an meiner Brust spürte, umfing ich dieses Wesen, das ich gerade geboren hatte, mit euphorischem Stolz, als hätte ich die Welt neu erschaffen. »Rosig und gesund wie ein Kätzchen«, sagte Sancha, während sie die Nabelschnur mit einer Ruhe durchschnitt, als habe sie es schon viele Male getan.
    Ein kurzer Schmerz ließ mich zusammenzucken. Die Gier, mit der die Kleine an meiner Brust saugte, entzückte mich. Der Duft jungen Lebens strömte von ihrem Köpfchen aus. Sie hatte Oswalds Augen, seine Nase. Sogar ihr Schopf schimmerte wie rötliches Gold. Ich atmete sanft hinein.
    »Ich liebe dich«, murmelte ich. »Immer noch. Auch, wenn du mich längst vergessen hast.«
    »Willst du etwas zu trinken?«, fragte Sancha. »In der Küche steht noch etwas Mandelmilch, dein Lieblingsgetränk.«
    Erst jetzt spürte ich die Trockenheit in meinem Hals, und ich nickte dankbar.
    Als sie die Türe öffnete, schoss Tariq herein, gefolgt von der Hündin.
    »Sie ist wunderschön!«, rief er. »Eine richtige Prinzessin!«
    Rena begann mir die Hand abzulecken. Sanft drehte ich ihren Kopf zur Seite.
    »Wie soll sie heißen?«, fragte Tariq.
    »Jetzt wird erst einmal getrunken!«, sagte Sancha resolut.
    Sie nahm mir das Kind aus dem Arm und schenkte mir einen Becher ein. Ich versuchte mich aufzurichten. In diesem Augenblick machte Tariq eine unerwartete Bewegung und der Becher rutschte mir aus der Hand. Weiße Flüssigkeit ergoss sich auf den Boden.
    »Tut mir Leid!«, rief er. »Wie ungeschickt. Ich gieß dir gleich einen neuen ein.«
    »Schau nur, wie Rena sich freut!«, sagte ich.
    Die Hündin, die Mandelmilch ebenso liebte wie ich, begann den Boden genüsslich abzulecken.
    Ein Quäken. Dann empörtes Schreien. Die Kleine meldete ihre Ansprüche lautstark an. Sancha, die sie in meinen Arm legen wollte, erstarrte mitten in der Bewegung.
    »Die Hündin«, sagte sie. »Seht doch - was ist mit Rena?«
    Das Tier hechelte mit weit aufgerissenen Augen. Rena warf sich zur Seite und winselte. Schaum trat aus ihrem Maul. Die Pfoten zuckten. Schließlich lag sie still.
    Wie erstarrt sahen wir uns an. Ich fand als Erste die Sprache wieder.
    »Die Mandelmilch. Diego hat sie für mich präpariert, bevor er das Haus verlassen hat. Und kaltblütig in Kauf genommen, dass einer von euch daran sterben könnte, würde er sie trinken.«
    In einer wilden Bewegung wandte ich mich Tariq zu.
    »Du hast mich nach ihrem Namen gefragt? Renata soll sie heißen - die Wiedergeborene.«
    »Der weiße Germer«, flüsterte Sancha. »Das perfekte Gift. Keine blauen Lippen, keine Risse in der Schleimhaut. So gut wie keine Spuren. Ein wenig Schaum, das ist alles. Er muss die Medizin des Juden verwendet haben. Simon hatte uns eindringlich vor zu hoher Dosierung gewarnt.«
    Simon. Der Name drang wie ein Lichtstrahl durch meinen Schmerz. Plötzlich wusste ich, was zu tun war. Ich zog den Smaragdring von meinem Finger. Oswalds grüner Stein würde unsere Geburtsgabe für Renata sein. Ich hatte Goldschmieden oft bei ihrer Arbeit zugesehen. Deshalb war es nicht weiter schwierig, ihn aus seiner Fassung zu lösen. Nach einigen Versuchen glitt er heraus. Ich legte ihn in ein Säckchen und steckte es in

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