Strasse der Sterne
die Windel.
Noch einmal betrachtete ich meine Tochter.
Ich berührte ihr kleines Gesicht, das weinend verzogen war, und küsste den rötlichen Flaum. Oswald war verschollen. Kurz kam mir der deutsche Kaufmann in den Sinn, von dem Consuelo gesprochen hatte, aber es war zu spät. Ich konnte auf keinen Retter hoffen, der uns erlösen würde.
Dann übergab ich sie Sancha.
»Bring sie zu Simon! Sag ihm, es ist mein Geschenk für seine Riwka. Den Stein sollen sie ihr geben, wenn sie alt genug ist. Beeil dich. Diego kann bald wieder zurück sein.«
»Du willst dein Kind diesen Fremden geben?« Fassungslos starrte Sancha mich an. »Aber es sind Juden!«
»Aber sie wird leben!«, gab ich zurück. »Soll ich darauf warten, dass es ihm wirklich gelingt, sie zu töten? Du hast doch gesehen, wozu Diego fähig ist. Simon und Riwka werden sie lieben wie ihr eigenes Kind, das weiß ich. Und jetzt lauf endlich!«
Erschöpft fiel ich zurück.
Bis heute weiß ich nicht, wie ich diese Nacht überstanden habe. Irgendwann kam Sancha zurück, blass und traurig.
»Sie werden sie Esther nennen«, sagte sie. »Sie haben vor Freude geweint. Alle beide. Der grüne Stein ...« »Sie heißt Renata«, flüsterte ich. »Renata, die Wiedergeborene.«
*
Es muss gegen Morgen gewesen sein, als an meine Türe geschlagen wurde. Erschrocken fuhr ich auf. Mein Körper war wund. Noch wunder aber war mein Herz.
Carmela sah aus, als wäre ihr der Leibhaftige begegnet. Hinter ihr stürmte Sancha herein, nicht minder aufgelöst.
»Sie haben den Herrn verhaftet«, flüsterte Carmela. »Und den Perfectus dazu. Im Palacio Balboa. Letzte Nacht.«
Im ersten Moment glaubte ich, sie nicht richtig verstanden zu haben. »Aber sie feiern doch mit dem Sekretär des Königs. Keiner würde wagen, sie dort zu verhaften.«
»Sie sind in der Gewalt der Dominikaner. Beide. Es muss eine Falle gewesen sein.«
»Woher willst du das wissen?«
»Estefano hat es mit eigenen Augen gesehen«, sagte Sancha. »Der Sohn des Silberschmieds. Aber das ist noch nicht alles. Er hat auch erfahren, dass ein kleines Mädchen gestern Abend im Kloster der Schwarzkutten gewesen ist.« Ihre Lippen wurden schmal. »Mit blonden Haaren und auffallenden Hasenzähnen.«
Ich brachte kein Wort heraus.
»Sie werden bald hier sein. Du musst weg. Sofort!« Carmelas Blick fiel auf meinen eingefallenen Bauch und ich sah, dass sie sich verstohlen im Zimmer nach einem Säugling umschaute, aber sie verlor kein Wort.
»Ich kann nicht«, sagte ich matt.
»Du musst. Steh auf - wir helfen dir.«
Zusammen mit Tariq und Sancha half sie mir beim Aufstehen. Sie streiften mir Kleider über und brachten mich zur Treppe. Vor den Stufen blieb ich stehen. Meine Aufzeichnungen! Sie durften keinem in die Hände fallen!
Gerade wollte ich danach fragen, als Sancha mir eine Ledermappe entgegenstreckte.
»Ich hab noch etwas anderes hineingelegt«, sagte sie. »Etwas, was dir vielleicht später einmal von Nutzen sein kann, mehr als alles Gold. Und jetzt komm!«
»Es tut mir Leid«, sagte ich. »Wir hätten Freundinnen ...«
»Ich weiß«, unterbrach sie mich. »Der Wagen wartet schon.«
»Welcher Wagen?«
»Consuelo«, sagte sie knapp. »Ich habe sie sofort in Kenntnis gesetzt. Sie hat nicht einen Moment gezögert.«
Ich starrte sie an, diese magere, unscheinbare Frau mit den schweren Lidern, und schämte mich.
»Und was wird aus euch? Aus dir? Und Carmela?«
»Estefano versteckt uns bei Verwandten auf dem Land. Wer weiß? Vielleicht endet ja eines Tages dieser schwarze Spuk, und wir können nach León zurückkehren.«
*
Er warb behutsam um mich. Kein Wort zu viel, nicht eine Geste, die mich in Bedrängnis gebracht hätte. Dabei war Heinrich ein stattlicher Mann mit ausdrucksvollen grauen Augen, um den mich viele beneidet hätten. Mein ungewöhnliches Haar schien ihm zu gefallen. Es schien ihm nichts auszumachen, dass ich wenig sagte und niemals lächelte. Und auch nicht, wie wenig ich mir aus seinen Geschenken machte, mit denen er mich zu verwöhnen suchte.
Er holte mich regelmäßig an der Klosterpforte ab und ging mit mir spazieren, in diesem hellen Frühling, der alles zu verzaubern schien. Dabei erzählte er mir von den vielen Orten, die er schon bereist hatte. Ich hörte ihm gerne zu. Er sprach unsere Sprache fließend, vielleicht ein bisschen zu weich, aber seine Stimme hüllte mich ein mit ihrer Wärme.
Der steinlose Goldreif an meiner Hand war ihm gleich aufgefallen. Er bat mich, ihn ihm
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