Strasse der Sterne
kleiner Mönch. Einer Frau wie ihr konnte er nichts vormachen, auch wenn er vorgab, es ging ihm um Gott. Wo sie doch genau spürte, dass alles in ihm nach Pilar schrie.
Estrella war so wütend und hilflos, dass sie am liebsten laut geschrien hätte. Erst als sie den Schweiß in kalten Rinnsalen auf ihrer Haut spürte, blieb sie stehen und schaute sich um. Cebreiro lag unter ihr.
Sie ließ sich am Stamm einer Kiefer nieder und zog die Karten heraus. Der blanke Vollmond über ihr hatte sie auf diese Idee gebracht, lange bevor es zu dem Zusammenstoß mit Armando gekommen war. Eigentlich hatte sie ihm Frieden anbieten wollen. Sein seltsames Verhalten jedoch hatte sie erneut wütend gemacht.
Sie schloss die Augen, wie die alte Laila es ihr beigebracht hatte, und berührte den Beutel zwischen ihren Brüsten.
»Bei den wichtigen Fragen musst du ganz bei dir sein«, hatte sie gesagt. »Sonst behalten die Karten ihre Geheimnisse für sich. Sei besonders vorsichtig, wenn du sie für dich selber befragst. Denn ihre Wahrheit kann heilen und töten.«
Estrella mischte die Karten. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Markierungen zu ertasten, aber sie tat es nicht. Sie hob ab, breitete den Fächer auf dem unebenen Boden aus, so gut es ging, und zog.
Drei Karten, wie das große Spiel es gebot.
Drei Karten für das Schicksal von Estrella.
Die erste war die Sonne.
Sie atmete auf. Die Rückkehr zum Licht. Die Versöhnung. Alle Prüfungen sind bestanden. Sie war auf dem richtigen Weg.
Ihre Hand war ruhig, als sie die zweite Karte aufdeckte.
Der Mond. Das war die falsche Reihenfolge.
Leichte Unruhe ergriff sie. Aber es gab keinen wirklichen Anlass zur Sorge. Der Ausweg musste erst gefunden werden. Vielleicht war sie nur etwas voreilig gewesen, wie so oft. Die Karte der letzten Prüfung. Sie musste eben die Augen aufhalten, um sie auch rechtzeitig zu erkennen.
Jetzt fehlte nur noch der Stern. Der Dritte im Bunde der himmlischen Zeichen, ihr Glückzeichen. Als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, wusste sie augenblicklich, was zu tun war: Aus dem namenlosen Bündel, dem die falschen Eltern einst den Namen Esther gegeben hatten, wurde Estrella.
Estrella, die kein Mann jemals wieder zurückstoßen würde. Diesen Entschluss hatte sie eben gefasst.
Sie drehte die dritte Karte um - der Tod.
Ihr Lächeln erstarb.
»Es ist nur ein Spiel.« Laut sprach sie die tröstenden Worte aus, weil sie sich plötzlich nach einer menschlichen Stimme sehnte. »Nichts als ein Spiel. Und niemand weiß das besser als ich.«
Fahrig packte sie ihr Bündel zusammen. Kein Stern mehr über ihr zu sehen; schwarze Wolken jagten über den Himmel. Das Tal war in Nebelfetzen verschwunden.
Sie ging langsam abwärts, aber es war plötzlich sehr dunkel. Ihr Herz schlug wie wild gegen die Rippen. Sie musste sich auf die Zunge gebissen haben. In ihrem Mund schmeckte sie Blut. Ein Tierlaut ließ sie zusammenschrecken.
Wo kam er her? Was lauerte in der Dunkelheit auf sie? Estrella drehte sich um die eigene Achse.
In der Drehung knickte sie um. Wie glühendes Metall fuhr der Schmerz durch ihren Knöchel. Sie bückte sich ungeschickt, rutschte und löste einen Steinhagel aus.
Es gab keinen Halt, nur den Abgrund. Estrella stürzte. Ihr gellender Schrei verlor sich in der Nacht.
*
Magdas Gesicht, im Wehenschmerz verzerrt.
»Ich bringe sein Kind zur Welt«, keuchte sie. »Heinrichs Kind. Sein einziges. Ich bin seine Frau. Die Verräterin hat er niemals geliebt. Warum glaubt ihr mir denn nicht?«
Aber was mit einem gellenden Schrei aus ihrem Schoß schoss, schwarz und blutverkrustet, war nichts als ein verbrannter Tierkadaver...
Pilar lag ganz still, mit steifen Gliedern. Sie versuchte den Traum zu verdrängen, aber ihre Hände zitterten noch immer. Zudem lag etwas Warmes auf ihrer Brust, das brummte und ihr das Atmen schwer machte.
Plötzlich war das Gewicht verschwunden. Ein leises Maunzen. Sie lachte vor Erleichterung. Eine Katze! So hatte Minka auch oft auf ihr geschlafen.
Dann hörte sie das Weinen.
»Armando?«, sagte sie aufs Geratewohl.
»Lass mich«, murmelte er. »Ich bin verloren.«
»Was ist denn geschehen?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Am besten, ich wäre tot!«
»Sag so etwas nicht.« Ihre Stimme klang sanft. »Wo bist du? Komm näher, sonst kann ich nicht mit dir reden.«
Sein Ärmel rieb an ihrem; er legte sich neben sie.
»Ach, Pilar, warum konnte ich nicht heilig bleiben? So viele fromme Männer vor mir haben es geschafft! Aber
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