Strasse der Sterne
ich habe alles beschmutzt!«
»Weil du vielleicht nicht heilig bist«, sagte sie nachdenklich. »Nicht jeder kann ein Heiliger sein.«
»Das hat Camino auch gesagt. Aber was soll ich denn jetzt tun?«
»Hattest du denn nicht eine wichtige Aufgabe zu erledigen?«
»Das geht jetzt nicht mehr. Ich kann doch nicht statt des heiligen Grals einen wertlosen Kelch nach Tomar bringen!« Er biss sich auf die Lippen. »Das, was ich eben gesagt habe, musst du ganz schnell wieder vergessen. Versprich mir das!«
»Ich habe es gar nicht gehört. Hör auf zu weinen! Es macht mich traurig, wenn du traurig bist.« Ihre Finger berührten sein Gesicht. »So siehst du also aus. Jetzt weiß ich es endlich. Welche Farbe haben deine Augen?«
»Braun, glaube ich.«
»Und deine Haare?«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»Deine Haare, Armando!«
»Braun. Ich bin mir nicht ganz sicher. Was soll das alles?«
»Weil ich mir dich vorstellen möchte, wenn du uns verlässt. Wann wirst du gehen?«
»Bald. Ich weiß es nicht.« Er schien sich umzusehen. »Wo sind eigentlich die anderen?«
»Draußen. Tariq war es zu stickig. Moira und Camino sind schon lange weg. Und Estrella ...« »Bitte nicht schon wieder!«
»Ich glaube, sie mag dich«, sagte Pilar. »Deshalb ist sie auch so hässlich zu mir.«
»Aber ich will nichts von ihr! Ich hasse sie. Aber du, Pilar, du bist ganz anders.«
»Wieso bin ich anders?« Sie klang ungläubig.
»Das ist schwierig zu erklären. Ich fühle mich so sicher und frei, wenn ich in deiner Nähe bin. Als ob alles ganz leicht wäre, ganz einfach.«
»Wieso kommst du dann nicht näher?«, flüsterte sie.
Sie spürte seinen warmen Atem schon auf ihren leicht geöffneten Lippen, als Schritte sie aufschreckten. Armando rollte sich wieder an seinen Platz zurück, während Pilar ihre Wange gegen die Decke presste und sich schlafend stellte.
»Sie schlafen schon. Beide«, hörte sie Moira sagen. »Anscheinend haben sie uns nicht vermisst.«
»Bereust du es?« Das war Caminos Stimme.
Eine Weile war es ganz still.
»Du hast mir das Leben wieder geschenkt«, flüsterte Moira. »Wenn ich dich nicht ohnehin schon liebte, dann täte ich es jetzt.«
*
Estrellas Leichnam wurde am nächsten Morgen auf einem Ochsenkarren ins Dorf gebracht. Ein Bauer hatte sie beim Mähen seiner Wiese gefunden. Ihr Gesicht war gelöst. Hätte es nicht diese hässliche Wunde am Hinterkopf gegeben, sie hätte wie eine Schlafende ausgesehen.
»Es muss ein Unfall gewesen sein«, sagte Moira. »Ein schrecklicher Unfall.«
Die Bluse klaffte vorn auf. Man sah, dass sie etwas umhängen hatte. »Sieht aus wie ein Amulett«, sagte Moira. »Vielleicht ein Hexenzeichen.«
»Nein«, entgegnete Armando. »Kein Amulett. Es ist ein Ledersäckchen. Mit einem Andenken an ihre Mutter. Sie hat es mir einmal gezeigt. Aber ich kann sie nicht anfassen. «
»Wir wissen nicht einmal, zu wem sie gehört«, sagte Camino.
»Vielleicht doch. Sie hat einmal von einer Alten namens Laila gesprochen«, sagte Armando. »Ihre Großmutter, wenn ich mich richtig erinnere.«
»Sieh nach!«, sagte Pilar zu Camino. »Vielleicht wissen wir dann mehr.«
Er löste das Lederband und öffnete das Säckchen. Als er den grünen Stein herausholte, verlor sein Gesicht jede Farbe.
»Was ist?«, fragte Moira besorgt. »Was hast du?«
»Ein großer Smaragd«, sagte Camino leise. »Der grüne Stein aus dem Ring meines Vaters.«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Moira.
»Du meinst Blancas Ring?«, sagte Pilar. »Den Ring aus dem Vermächtnis? Aber woher willst du wissen ...«
»Gib mir deinen Ring!« Camino zog ihn ihr vom Finger und drückte von innen gegen den Stein. Der Labradorit bewegte sich leicht. Camino verstärkte den Druck.
Der Stein glitt aus der Fassung.
»So hat sie es damals gemacht. Genauso wie ich eben hat sie den Stein herausgedrückt. Und dem neugeborenen Kind als Schatz ins Kissen gesteckt. Bevor sie es vor Diego in Sicherheit gebracht hat. Der Stein war das einzig Wertvolle, was sie besaß.«
»Das Kind?«, wiederholte Pilar. »Meinst du Blancas Kind?«
Er steckte den grünen Stein in die leere Fassung. »Er passt!« Camino drehte den Ring nach allen Seiten. »Haargenau. Es gibt nur einen Stein, der in diese Fassung passt - es ist der Ring meines Vaters!«
»Aber das würde ja heißen, dass Estrella ...« Pilar verstummte. »Du musst dich irren!« »Ich irre mich nicht! Wie haben wir nur alle so blind sein können? Sie ist Blancas Kind. Meine
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