Strasse der Sterne
der Stanglreiter, hatte als Kommandant des Schiffszuges mit seiner Meßlatte die Wassertiefe des Flusses zu ermitteln. Normalerweise blieb er keinem die Antwort schuldig. Das ungewohnte Ausmaß dieses Schadens jedoch ließ selbst ihn verstummen.
»Und erst mein kostbarer Safran - alles verdorben!«, jammerte Reich auf dem Nebenschiff. Er kniete auf den schlüpfrigen Planken, ohne sich darum zu scheren, dass sein Umhang schmutzig wurde. »Das kostet dich Kopf und Kragen, Bursche! Woher nimmst du den Mut, uns solch verdorbene Ladung andrehen zu wollen?«
»Da musst du Petrus persönlich zur Verantwortung ziehen!«, knurrte der Stanglreiter. »Es hat ständig gegossen.«
Mit klopfendem Herzen ordnete auch Heinrich Weltenpurger einige Stichproben an. Aber alle Kisten, die er aufbrechen ließ, enthielten tadelloses Gut: Ingwer, Gewürznelken, Anis, Koriander, Feigen, Mandeln.
»Wie sieht es bei dir aus, Heinrich?«, erkundigten sich die anderen Mercatores.
»Ich habe offenbar Glück gehabt«, sagte er. Er winkte seine Leute zum Abladen herbei.
»Wer hat eigentlich festgelegt, dass seine Ladung schon wieder auf den Keilheimer kommt?«, fragte Zandt. »Hatten wir nicht vereinbart, dass jeder von uns abwechselnd an die Reihe kommen soll?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Reich. »Als ich im Hafen ankam, waren seine Kisten bereits an Bord. Offenbar hat der Weltenpurger kräftig nachgeholfen. Ein Extrabatzen für den Stanglreiter - das ist in meinen Augen Bestechung. Einer der Reiter hat alles beobachtet. Er ist unser Zeuge, wenn es hart auf hart kommt.«
»Nicht das erste Mal, oder?« Inzwischen hatte sich auch Lettl zu den anderen gesellt. »Bei der Ladung aus Venedig waren es doch auch die Ballen Weltenpurgers, die als einzige unversehrt den Brenner passiert haben.«
»Und das ist noch nicht alles.« Zandts Gesicht verzog sich. »Offenbar hat er unsere Abwesenheit benutzt, um auf dem Wöhrd eine seltsame Konstruktion installieren zu lassen. Sein Gehilfe ist der Welsche.«
»Wozu?«, fragte Lettl. »Was hat er damit vor?«
»Mehl will er damit bestimmt nicht mahlen!«, bellte Reich. »Wollen wir uns das wirklich gefallen lassen?«
Keiner, der nicht den Kopf geschüttelt hätte.
»Worauf warten wir dann noch? Zum Hansgrafen, Freunde!«
*
»Ich bin die Tür, so jemand, der durch mich eingeht, der wird selig werden und ein- und ausgehen und Weide finden. Siehe, ich mache alles neu.«
Heinrich empfand die Botschaft des Schottenportals bei jedem Besuch als Trost, auch wenn jetzt noch lange nicht Ostern war, das Fest der Auferstehung Christi, sondern ein frostiger Dezembertag. Neben dem Herrn im Tympanon empfingen die beiden Kirchenpatrone Gertraud und Jakobus den Eintretenden.
Er blieb stehen und betrachtete die von Arkadenreihen überkrönten Bildwandflächen. Oft schon hatte er seine Blicke über sie gleiten lassen - und doch entdeckte er jedes Mal etwas Neues, auch wenn das dünne Schneetreiben die Figuren heute weniger leuchtend erscheinen ließ. Voller Liebe sah er zu Jakobus auf. Der Apostel war sein Ratgeber und Seelenführer. Zu ihm kam er, wenn er sich in Bedrängnis fühlte, Angst hatte oder Trauer empfand. Er war sein Freund und sein Trost.
Ein Windstoß ließ ihn trotz seines gefütterten Umhangs erschauern. Heinrich trat ein, beugte das Knie und bekreuzigte sich. Drinnen war es kaum wärmer. Durch die bunten Glasfenster an der Nordseite fiel dämmriges Licht. Er zögerte kurz, als er den Mönch am Altar knien sah, ging dann aber doch zu ihm und berührte seinen fleischigen Rücken.
»Gut, dass du endlich kommst.« Pater Rabanus erhob sich.
»Die Ladung musste erst gelöscht werden«, erwiderte Heinrich. »Aber ich will mich nicht beklagen. Andere hatten leider Pech. Viele Waren unserer letzten Fahrt sind offenbar verdorben. Der Osten scheint ein immer gefährlicheres Ziel zu werden.«
»Du willst stattdessen nach Spanien zurück«, sagte der Mönch. »Ihretwegen?«
»Nein«, sagte Heinrich schnell. »Was hätte das für einen Sinn? Ich weiß ja nicht einmal, wo ich sie suchen sollte.«
»Es ist nicht gut für dich, ohne Frau zu sein«, sagte Rabanus. »Sieh mich nicht so an. Ich habe Keuschheit geschworen, nicht du.«
»Hätte ich Rena niemals getroffen, so hätte ich vermutlich nie erfahren, wie sehr ich begehren kann - und wie sehr leiden. «
»Bereust du es?« Die Stimme des Paters hatte plötzlich einen lauernden Unterton.
»Nein. Sonst gäbe es ja nicht Pilar. Und heißt es nicht immer,
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