Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
erhellte unbarmherzig die mondlose Nacht.
    Und er stand genau über dem Haus des Weltenpurgers.
    *
    Jemand trampelte auf ihrem Brustkorb herum. Klägliches Miauen.
    Mühsam setzte Pilar sich auf. Sie konnte noch nicht lange geschlafen haben, so müde fühlte sie sich. Sie wollte sich schon wieder zurücksinken lassen, als Minka einen schrillen Laut ausstieß.
    Jetzt roch sie es. Ein heißer, brenzliger Geruch, der von überall und nirgendwo zugleich zu kommen schien.
    Ihr Puls begann zu rasen. Feuer!
    »Papa?« Nie zuvor war ihr die eigene Stimme so kläglich erschienen. »Es brennt, Papa! Wo bist du?«
    Von Minka keine Spur mehr. Pilar tastete nach dem Stock und fand ihn ausnahmsweise neben dem Bett. Sie riss die Tür auf.
    Jetzt war der Geruch stärker. Wie weit war das Feuer bereits gekommen? Und wo steckten die anderen?
    Dann fiel es ihr ein. Das Haus war leer. Jeder, der gehen und sehen konnte, befand sich auf der Lichtmessprozession. Und wo Tariq sich an christlichen Festen verkroch, wusste nicht einmal sie.
    »Ich bin hier!«, rief sie verzweifelt. »Oben, im ersten Stock. Vor meiner Kammer. Hört mich denn keiner?«
    Ein paar unsichere Schritte, dann blieb sie wieder stehen. Über ihr knisterte und prasselte es. Es war deutlich heißer geworden, und trotzdem zitterte sie in ihrem Leinenhemd.
    »Papa! Tariq? Wo seid ihr? Holt mich - bitte!«
    Erschrocken zuckte sie zurück. Sie hatte den herausragenden Balken vergessen und sich die Stirn angeschlagen. Der Schmerz machte sie wütend.
    »Ich will nicht sterben! Rettet mich!«
    Das Atmen wurde immer schwieriger. Pilar begann zu husten. Sollte sie denn hier oben bei lebendigem Leibe verbrennen?
    »Wo seid ihr? Hilfe!«
    Sie stieß gegen einen Schemel und stolperte.
    »Mama!«, flüsterte sie.
    »Mi niña!« Es waren Tariqs starke Arme, die sie endlich packten und aufhoben. »Mach dich so klein wie möglich - wir müssen durchs Feuer.« Wie damals als Kind drückte sie sich fest an seine Brust. Aber da war etwas, was sie störte, ein harter Gegenstand mit festen Kanten, die sie unter seinem Gewand spürte. Nur für einen Moment fragte sie sich, was er da versteckt haben mochte. Egal - wenn er sie nur rausholte! Zum ersten Mal war sie froh, dass sie nichts sehen konnte.
    »Er brennt, der Maure hat Feuer gefangen! Werft ihm schnell eine Decke über!«
    Aufgeregte Stimmen, die sie nicht erkannte. Tariq hatte sie sofort abgesetzt. Sie hörte ihn leise stöhnen. Er musste sich ernsthaft verletzt haben.
    »Du bist gerettet - Gott sei Dank!« Magda drückte sie so fest an sich, dass sie kaum noch Luft bekam. »Aber wo ist Heinrich? Mit den anderen beim Löschen?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe ihn gerufen, mehrmals. Aber er hat nicht geantwortet.« Sie drehte sich zur Seite. »Papa, wo bist du? Ich bin hier! Hörst du mich nicht?«
    »Wo hast du ihn zum letzten Mal gesehen?« Magda packte ihren Arm und riss sie zu sich herum.
    »Du tust mir weh! Bist du von Sinnen?« Beiden fiel nicht auf, dass Pilar diese Frage eigentlich nicht beantworten konnte. »Er war im Turm und hat gerechnet.«
    Es war, als hätte man sie bis zum Hals in eisiges Wasser gesteckt. Pilars Zähne schlugen aufeinander.
    »Papa!«, wollte sie sagen. »Du musst leben. Mir zuliebe.«
    Aber sie brachte keinen Ton heraus.
    *
    »Ich will zu ihm. Lasst mich zu ihm!«
    Nachbarn versuchten Pilar abzuhalten, aber sie drängte vorwärts. Sogar Tariq, der sie sanft daran hindern wollte, schüttelte sie verzweifelt ab.
    Der Gestank nach verbranntem Horn war unerträglich.
    Er kroch ihr tief unter die Haut, und als sie dem Leichnam näher kam, den sie auf eine Bahre gelegt hatten, wusste Pilar, dass sie ihn niemals vergessen würde, solange sie lebte.
    »Papa? Spürst du mich? Ich weiß, du spürst mich!«
    Ihre Hände lasen, was von ihm übrig geblieben war. Seine Haare ein rußiges Gekröse, die Haut an Armen und Bauch wie ein ledriger Panzer. Die Finger zu Krallen verbrannt. Er hatte keine Lider mehr. Die gallertartige Masse verkochter Augen lag frei. Pilar ließ sich Zeit. Sie empfand weder Ekel noch Angst, nur Liebe.
    »Gott segne dich!«, flüsterte sie. »Immer wirst du bei mir sein.«
    Sie kam an seinen Ring, den die Hitze leicht verformt hatte. Zunächst zögerte sie, dann zog sie ihn behutsam ab. Als sie noch sehen konnte, hatte sein goldenes Schimmern, das unversehens durch das tiefe Blau blitzte, sie stets an den Sternenhimmel erinnert. Auf der Innenseite war ein Name eingraviert - Baldur von Lichtenfels.

Weitere Kostenlose Bücher