Strasse der Sterne
als es schließlich abrupt endete, begann er übergangslos zu weinen. Aus einer schwarzen Tiefe, die er sonst sorgfältig zu umschiffen gelernt hatte, stieg Verzweiflung auf und brandete wie eine kalte Welle an sein Herz.
»Wo bist du, Geliebte?«, flüsterte er. »Wieso hast du mich verlassen?«
Er taumelte und griff nach einem Halt, vergebens. Die Beine verweigerten ihm den Gehorsam. Der dicke Teppich minderte zwar den Aufprall, aber seine Knochen schmerzten, und im Schädel brummte und dröhnte es. Plötzlich konnte er kaum noch das Licht der kleinen Talgkerzen ertragen. Sein Atem ging stoßweise.
Musste er sterben?
Der Durst wurde unerträglich. Gaumen und Hals wie ausgetrocknet, die Zunge ein riesiger, geschwollener Fremdkörper, den er am liebsten ausgespien hätte. Mit schwindender Kraft zog er sich am Tisch hoch und griff nach der Kompottschale. Seine Finger konnten sie kaum noch halten. Er schüttete alles hinunter. Für einen einzigen Schluck kühles Wasser hätte er jetzt alle seine Silbertruhen zusammen gegeben.
Der Schwindel verstärkte sich. Heinrich fiel wieder auf den Boden. Nichts im Raum schien mehr fest, alles schlingernd, tanzend. Mitten in diesen Wirbeln ein nackter Frauenkörper, der sich lüstern vor ihm wand.
»Rena!« Seine Lippen bebten. »Du bist zu mir zurückgekommen!«
Sie hatte langes, glänzendes Haar, das ihren Rücken hinunterfloss, aber es war weder weiß noch dunkel, sondern lohfarben. Seine Nase empfing den säuerlichen Geruch der Erregung.
»Lieg ganz still«, hörte er die Stimme sagen. »Ruhig, mein Liebster! Gleich bin ich bei dir. Keiner wird uns mehr trennen.«
»Ich möchte dich im Dunkeln hören.« Hatte er das gesagt? Oder waren es nur seine Gedanken? »Mit dir die Zeichen der Sternschnuppen lesen.«
Quälend langsam drehte sie sich um.
Es war Magda.
»Sie hat dich verraten. Jetzt gehörst du mir.« Ihr Mund war eine Fuchsschnauze, die Augen glänzten gelb wie die eines Wolfs. Pralle Brüste wölbten sich ihm entgegen. »Du bist mein Bräutigam. Und ich bin deine Braut. Gemeinsam sind wir verdammt - bis in Ewigkeit!«
Ein Heulen entrang sich seiner Brust, noch bevor er ihre eisigen Finger auf seinem Körper spürte. Sein Herz schlug, als wolle es sich gewaltsam aus dem Gefängnis der Brust befreien.
Und schließlich gelang es ihm auch.
Heinrich lag mit geöffnetem Mund vor seinen Silberkisten und rührte sich nicht mehr.
*
»Salve regina misericordiae I Vita, dulcedo, et spes nostra, salve I Ad te clamamus, exsules, filii Evae ...« Ihre Lippen bewegten sich, die Worte aber erreichten nicht ihr Herz. »Sei gegrüßt, o Königin der Barmherzigkeit I unser Leben, unsere Wonne und unsere Hoffnung, sei gegrüßt I Zu dir rufen wir, verbrannte Kinder Evas ...«
Magda schrie auf. Ein Wachstropfen war auf ihre Haut gefallen. Die Frau neben ihr sah sie erschrocken an. Sie schüttelte den Kopf und wechselte die Kerze in die linke Hand.
Es mussten Hunderte von Gläubigen sein, die sich vom Dom zur Schottenkirche bewegten, Männer, Frauen und Kinder, geweihte Kerzen in den Händen, als Zeichen dafür, dass Christus in ihnen leuchtete. Im Dunkel der Nacht wehrten sie alles Böse ab. Sie waren ein verheißungsvolles Zeichen, dass der Frühling nicht mehr weit war, und mit ihm besondere Schutzkräfte gegen Krankheit, Not und alle Gefahren.
Sie mussten auf ein Hindernis gestoßen sein. Der lange Zug kam nach und nach zum Stehen. Und in diesem Augenblick spürte Magda das Zittern in ihrem Bauch, wie Motten, die mit ihren Flügeln gegen eine Laterne schlugen. Das Kind lebte. Tränen schossen in ihre Augen.
»Es brennt!« Eine Frauenstimme überschlug sich beinahe. »In der Wahlenstraße. Benachrichtigt die Wacht - wir müssen alle löschen helfen!«
Tumult entstand. Menschen liefen durcheinander, und die Kerzen erschienen ihr jetzt wie ein Heer aufgescheuchter Glühwürmchen. Magda blies ihre Kerze aus. Ihr Herz begann zu rasen. Ihre Beine setzten sich wie von selber in Bewegung.
Es ist nichts, sagte sie sich, während sie immer schneller lief, es kann nichts sein! Niemand wird ihm etwas zuleide tun. Um sie herum war plötzlich nur noch Dunkelheit. Ihr war, als müsste sie ersticken.
Am Haidplatz kam ihr ein Mann entgegen. Er hatte die Mütze tief in die Stirn gezogen, aber sie erkannte ihn trotzdem - Sperling, der rannte, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.
Schweiß rann von ihrer Stirn, als sie schließlich in die Wahlenstraße einbog. Ein rötlicher Schein
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